Natürlich müssen wir zuerst etwas über Ihren
größten Erfolg sprechen – das Buch, das Sie weltweit bekannt gemacht hat: "Die
purpurnen Flüsse".
Der Film mit Jean Reno dürfte wohl einiges dazu
beigetragen haben. Und Sie selbst haben das Drehbuch geschrieben.
Sind Sie mit dem Film zufrieden oder hätten Sie
etwas anders gemacht?
Ich war sehr glücklich darüber, dass es einen
Film gab. Klar, für einen Schriftsteller ist es immer eine tolle Neuigkeit, wenn
ein Film nach seinem Roman gedreht wird. Außerdem war ich wegen des Regisseurs
froh, Mathieu Kassovitz, der einer der besten französischen Regisseure ist. Ich
war ebenfalls froh über das Casting, denn ich mag Jean Reno und Vincent Kassel
sehr gerne. Die Voraussetzungen haben also gestimmt, um einen guten Film drehen
zu können. Wissen Sie, meine Bücher haben immer etwas
Filmisches. Wenn man einen meiner Romane liest, denkt man sich: "Hey, da ließe
sich ein schöner Film draus machen!", aber das ist tückisch. Denn in meinem Buch
wird einfach zu viel erzählt, um in einen Film zu passen. Man muss also
entscheiden, was man beibehält und was man dafür weglässt. Bei "Die purpurnen Flüsse" haben wir, meiner
Meinung nach, zu viel übernommen. Der Film ist wirklich gut gemacht und die
Atmosphäre kommt genauso rüber wie in meinem Buch. Aber gleichzeitig gibt es ein
Problem mit dem Ende. Im Film versteht man das Ende nicht. Das ist schade. Ich glaube, Mathieu hat zu viel aus dem Buch
übernommen, aber gleichzeitig auch zu viel weggelassen. Man hat all die
einzelnen Elemente der Story, aber man kann die Verbindung zwischen ihnen nicht
herstellen. Na ja, die Wahrheit ist: Der Film war sehr
erfolgreich. Und wenn etwas erfolgreich ist, ist jeder glücklich. Ich war auch
sehr glücklich. Mein Buch war in Frankreich schon vor dem Film ein Bestseller.
Aber da keiner das Ende des Films verstanden hat, kaufte jetzt jeder, der den
Film gesehen hatte, den Roman, um zu wissen, worum es eigentlich geht.Für mich war es also ein sehr gutes Geschäft.
(lacht) Nach dem Film dürfte ich in etwa noch mal genauso viele Bücher verkauft haben, wie schon zuvor über den Ladentisch gegangen
waren. Ja, man kann sagen, dass das für mich sehr gut gelaufen ist.
Im Buch ist die Figur, die Vincent Kassel im
Film spielt, eine völlig andere. Während Kassel den relativ normalen
Kleinstadt-Polizisten Max Kerkerian darstellt, ist die Romanfigur Karim Abdouf
ein eher unkonventioneller Geselle. Ein Beur (Nachkomme nordafrikanischer
Einwanderer) mit krimineller Vergangenheit. Warum wurde diese Figur im Film komplett
ausgetauscht?
Ja, im Kino ist das immer so. Wenn man etwas
gewinnt, verliert man gleichzeitig etwas. In diesem Fall habe ich meine
ursprüngliche Figur verloren, den Beur, den Rebellen. Ich mag diese Figur sehr
gerne. Na ja, das haben wir also verloren, aber gleichzeitig haben wir etwas
anderes gewonnen. Vincent Kassel ist ein Freund von Mathieu Kassovitz. Ich
wusste, dass Mathieu aus Vincent viel herausholen konnte, denn er kennt ihn sehr
gut. Vincent Kassel ist ein hervorragender Schauspieler, der zusammen mit Jean
Reno ein tolles Team ergeben würde. Die Chemie zwischen den beiden stimmt. Er ist also kein Beur und entspricht auch sonst
nicht wirklich meiner Figur, aber im Endeffekt ist etwas Gelungenes dabei
herausgekommen. Für mich ist das schon okay.
Ja, vermutlich wäre es auch schwer gewesen, die
ganze Hintergrundgeschichte der Figur in den Film einzubauen.
Wie bereits gesagt, im Buch passiert einfach zu
viel und man muss eine Auswahl treffen. Das ist sehr schwer. Nach "Die purpurnen
Flüsse" wurde ein anderes meiner Bücher verfilmt: "Das Imperium der Wölfe". Ein
ziemlich guter Film, der aber auch viele Probleme hat. Und jetzt gerade aktuell
gibt es einen weiteren Film, der im November in die französischen Kinos kommt...
Der steinerne Kreis?
Ja, genau. Ich bin sicher, dass Sie ihn auch
bald in Deutschland sehen werden. Der Film ist ebenfalls ziemlich gut. Wissen
Sie, Alfred Hitchcock hat immer gesagt, dass man bei der filmischen Umsetzung
eines Buches das Buch vergessen muss. Man liest das Buch, vergisst es und behält
nur die Story bei, die man dann versucht mit filmischen Mitteln umzusetzen. Ich denke, Hitchcock hatte Recht. Man muss das
Buch vergessen und versuchen die gleiche Geschichte filmisch zu erzählen. Das
Kino ist eben etwas ganz anderes.
Sie schreiben auch ab und zu Drehbücher, z.B.
das von "Vidocq" oder eben "Die purpurnen Flüsse". Ich habe gelesen, dass Sie
Fan von Sergio Leone sind – gibt es einen Film von ihm, den Sie selbst gerne
geschrieben hätten?
Oh, da gibt es viele. Aber das ist auch wieder
schwierig, denn wenn man ein Drehbuch schreibt, weiß man nie, was für ein Film
am Ende dabei herauskommt. Man kann einen Film erst dann beurteilen, wenn er
fertig gestellt ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein
Drehbuch beim Lesen manchmal nicht sehr gut zu sein scheint, aber wenn man dann
hinterher den Film sieht, ist er hervorragend. Ich habe auch festgestellt, dass
man manchmal sehr, sehr gute Drehbücher liest und der Film dann nicht annähernd
so gut wird. Ich kann die Frage also nicht wirklich
beantworten. Ich kann aber sagen, dass ich keine Lust mehr habe, fürs Kino zu
schreiben. Das ist zu kompliziert, man hat keine Freiheit. Man muss auf zu viele
Leute hören. Produzent, Regisseur, Schauspieler, jeder will seinen Senf dazu
geben. Wenn man ein Buch, einen Roman schreiben kann,
ist das die beste Variante. Man schreibt seinen Roman, ist alleine, unabhängig,
macht genau das, was man machen will. So muss es sein. Ich habe "Vidocq" geschrieben – eine ziemlich
negative Erfahrung –, ich habe mehrere Adaptionen meiner Bücher geschrieben –
und es war auch nicht so toll. Also habe ich das Kino jetzt völlig aufgegeben.
Das Einzige, was mich zufriedenstellen würde, wäre, meinen eigenen Film zu
machen. Aber das ist ein anderer Job. Ich bin Schriftsteller, nicht Regisseur. In Frankreich sind gerade alle Schriftsteller
dabei, sich an Filmen zu versuchen. Klar, im Prinzip kann jeder einen Film
machen, denn man hat tausend Leute um sich herum, die einem helfen. Aber es ist
dann nicht dein Film. Wenn man ein Autor ist, hat man kaum Chancen,
gleichzeitig ein guter Regisseur zu sein. Lassen Sie mich nachdenken. Mir fällt ein
Beispiel ein. Kennen Sie Paolo Pasolini? Er war ein guter Autor und ein guter
Regisseur. Aber das gibt es sehr, sehr selten.
Also haben Sie freiwillig darauf verzichtet,
das Drehbuch von "Der steinerne Kreis" zu schreiben?
Das ist eine lange Geschichte. Ursprünglich
hatte ich ein Drehbuch geschrieben, aber der Regisseur zog es dann vor, sein
eigenes zu schreiben. Also wurde meines vergessen und was Anderes gemacht, das
gar nicht mal schlecht geworden ist. Wissen Sie, das ist ein gutes Beispiel. Man
hat viel von meinem Buch vergessen, aber die Story beibehalten und versucht, sie
mit filmischen Mitteln zu erzählen. Monica Bellucci hat die Hauptrolle. Und ich
denke, das Resultat ist ziemlich gut geworden.
Ich glaube, ein deutscher Schauspieler – Moritz
Bleibtreu – ist auch dabei.
Ja, genau. Aber, wie gesagt, ich denke, dass
das es das Beste für mich ist, wenn ich meine Bücher schreibe und das Kino
vergesse. Allerdings ... für mein letztes Buch, "Das schwarze Blut", habe ich
gerade die Rechte nach Hollywood verkauft. Somit werde ich erstmals eine
amerikanische Verfilmung haben. Man wird sehen, was daraus wird. Die Kraft des
amerikanischen Films, die ich jetzt schon spüren kann, sind die Schauspieler.
Man trifft sich mit dem Produzenten und er schlägt einem verschiedene Stars vor.
In den Vereinigten Staaten gibt es so viele Schauspieler. Man hat die Wahl. In
Frankreich hat man sie nicht. Wenn man nicht Jean Reno nimmt, wird es schon
schwierig.
Das passt zu meiner nächsten Frage (lacht): In
"Das Imperium der Wölfe" sehen wir wieder Jean Reno in der Hauptrolle. Ich habe
mich gefragt, ob er ihr Wunschkandidat war ...
Ich mag ihn sehr gerne.
... oder ob man ihn nur genommen hat, weil er
der Vorzeige-Franzose für Actionfilme ist.
Tja, da gibt es mehrere Probleme. Das erste ist, dass man beim Kino einen Star braucht. Wenn man keinen Star hat,
ist es unmöglich, einen Film zu machen. Denn wenn man keinen großen Namen als
Eyecatcher vorweisen kann, kann man nicht zahlen. Man bekommt nicht genug Geld zusammen,
einen Film zu drehen. Also ist klar, dass es immer eine gute
Nachricht ist, wenn Jean Reno ja sagt. Denn man weiß dann: "Ok, dein Film wird
..."
... ein Erfolg.
Genau. Man braucht sich keine Sorgen zu machen.
Gleichzeitig finde ich aber auch Jean Reno toll, denn er ist ein sehr intensiver
Schauspieler. Ich weiß nicht, ob Sie das alte französische Kino kennen. Jean
Gabin ist ein sehr bekannter französischer Schauspieler. Ich glaube, Jean Reno
ist die gleiche Art von Schauspieler. Sehr intensiv. Man spürt etwas, er hat
einfach was. Deshalb mag ich ihn sehr gerne. Wir haben nur einen anderen, das ist Gérard
Depardieu. Ich habe diesen Film mit ihm gemacht, "Vidocq", das war keine so
tolle Erfahrung. Und, wissen Sie was? "Die purpurnen Flüsse" wird jetzt in
Frankreich zu einer Fernsehserie verarbeitet.
Wie soll denn das gehen?
Ich hab nichts damit zu tun. Sie wollen
irgendwas Anderes über die purpurnen Flüsse machen. Und die Hauptrolle,
Kommissar Niemans, wird von Gérard Depardieu gespielt. Also, nach Jean Reno
jetzt Gérard Depardieu. Nach Gérard Depardieu Jean Reno. (lacht) Wir haben zwei
Schauspieler. Tja, das macht die Sache wenigstens einfach.
Ihr letzter Roman, "Das schwarze Blut", ist
gerade auf Deutsch erschienen. Darin geht es um einen abgehalfterten
Journalisten, der sein großes Comeback schaffen will, indem er gefälschte Briefe
an einen verurteilten Mörder schickt. Dieser ist mal Profitaucher gewesen und im
Laufe des Romans verfolgen wir seine Spur durch die entlegensten Winkel der
Welt. Sie haben mal gesagt, dass Ihre Geschichten erfunden und Sie nicht so ein
Autor sind, der etwas aus seinem eigenen Leben einbaut. Aber gewisse Ähnlichkeiten gibt es da doch
schon. Schließlich sind Sie ja auch als Journalist durch die Welt gereist und
haben die exotischsten Völker besucht.
Ja, für diesen Roman habe ich ein paar Elemente
aus meinem Leben verwendet. Wenn ich sage, dass ich nicht in meinem Buch sein
will, dass ich nicht so was wie eine Autobiografie schreiben will, meine ich,
dass ich sehr gerne Figuren erfinde, Geschichten erfinde, etwas erfinde, das
sich sehr von mir unterscheidet. In diesem Fall hatte ich die Idee, eine
Geschichte über einen Journalisten zu schreiben. Klar, ich war selbst
Journalist. Deshalb konnte ich mir erlauben, bei diesem Buch ein bisschen faul
sein. Natürlich hätte ich etwas schreiben können, das völlig unterschiedlich zu
mir ist, aber ich habe mich dann entschieden, auf meine eigenen Erfahrungen
zurückzugreifen und eine Geschichte auf Grundlage dessen zu erzählen, was ich
sehr gut kenne. Aber ich denke nicht, dass die Hauptfigur,
Mark, Ähnlichkeiten zu mir hat. Überhaupt nicht. Als ich Journalist war, habe
ich nicht über Verbrechen berichtet, sondern Reportagen gemacht. Überall in der
Welt. Über Natur, Tiere, Stämme.
Sie haben auch für National Geographic
geschrieben.
Ja. Solche Sachen eben. Mit Verbrechen hatten
meine Berichte nie etwas zu tun.
Wann kommen Ihnen Ihre Ideen, Inspiration? Ich
habe gelesen, dass Sie gerne mal um vier Uhr morgens schreiben und dabei
Puccini-Opern hören. Ist das so die typische Zeit?
Ja, ganz typisch. Jeden Tag wache ich um vier
Uhr auf, setze meinen Kopfhörer auf und mache mich an die Arbeit. Jeden Morgen.
Die beste Zeit zum Arbeiten. Kein Telefon, keine Kinder, kein Lärm. Keiner stört
einen. Das ist sehr gut. Ich stehe gerne früh auf. Ich bin dann auch direkt voll
in Form. Nicht so jemand, der erst mal zehn Kaffees trinken muss. Absolut nicht.
Wenn ich aufwache, denke ich mir gleich: "Ok, los geht's!"
Immer total frisch am Morgen.
Genau. Aber abends könnte ich nicht arbeiten.
Nach dem Abendessen geht nichts mehr. Das ist nicht wirklich meine beste Zeit.
Und die Musik lenkt Sie nicht bei der Arbeit
ab?
Nein, ich bin daran gewöhnt, Musik zu hören.
Manchmal mache ich sie aber auch aus, wenn ich mich stark konzentrieren muss.
Aber generell stört sie mich nicht. In der Regel gibt es keinen Zusammenhang
zwischen dem, was ich höre und dem, was ich schreibe. Manchmal höre ich mir
Filmscores an, was sehr gut ist, wenn man gerade eine Action-Szene schreibt.
Dann kann man sich die Musik von ... keine Ahnung ... irgendeinem Actionfilm
anhören. Aber normalerweise höre ich Opern, die dann natürlich nicht in
Beziehung zum Geschriebenen stehen.
Wie schon erwähnt, waren Sie früher Journalist.
1994 haben Sie beispielsweise eine Reportage über den jungen Formel-1-Star
Michael Schumacher gemacht. Tja, heute, zwölf Jahre später, beendet Schumacher
seine Karriere. Wie ist es mit Ihnen? Haben Sie je daran gedacht, mal wieder
etwas Anderes zu machen?
Wissen Sie, der große Unterschied zwischen dem
Job von Schumacher und meinem ist, dass man als großer Sport-Champion schon
weiß, dass man relativ früh aufhören wird, mit 30, 35. Als Schriftsteller kann
man hingegen schreiben, bis man tot ist. (lacht) Kein Problem. Nein, ich denke, dass ich wirklich bis zum Ende
beim Schreiben bleiben werde. Da bin ich mir sicher. Etwas tun zu können, das
man mag, ist eine einmalig große Gelegenheit. Wenn man ein Buch schreibt und das
das ist, was man am meisten liebt und es dann auch noch Geld einbringt, ja, dann
ist das ein Wunder. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber
in Frankreich gibt es nur sehr wenige Schriftsteller, die vom Schreiben leben
können.
Ja, das ist hier genauso.
Sie haben immer noch einen anderen Job. Lehrer,
Journalist, so was in der Art.
Vielen Dank für das Gespräch, Monsieur Grangé. Interview und Foto: © Jano Rohleder.
|