Die Grenzen der Unendlichkeit
Story:
Ein Shuttle kracht gegen die Raumstation Tokio. Der Unfall kostet Commander Alis Nussem beinahe das Leben. Ihre schweren Verletzungen können nur durch auswendige Operationen geheilt werden – und durch den Austausch vieler Körperteile durch künstliche Organe und Gliedmaßen. Nachdem sie ihren Dienst wieder aufnehmen kann, lässt sich die junge Frau auf ein Schiff weit draußen am Rand des Sonnensystems versetzen. Sie will weit weg von allem sein, insbesondere weit weg von Lieutenant Karl Stanton.
Karl hatte das Shuttle gesteuert, das die Katastrophe ausgelöst hatte. Obwohl er beteuert, an dem Vorfall keine Schuld zu haben, und auch eine offizielle Untersuchung nichts anderes feststellen konnte, glaubt ihm das niemand, am allerwenigsten Alis. Aber dann finden sich die beiden auf demselben kleinen Forschungsschiff, der Ranger, in der Nähe des Pluto wieder.
Die persönlichen Probleme der Crew müssen bald hinten anstehen, als ein unbekanntes Objekt auf den Sensoren auftaucht. Der Neuankömmling ist so groß wie ein kleiner Mond, aber er ähnelt keinem bekannten natürlichen oder künstlichen Phänomen. Sein vorausberechneter Kurs führt mitten durch unser Sonnensystem. Die Ranger macht sich an die Untersuchung. Aber auch umfassende Vorsichtsmaßnahmen können nicht verhindern, dass es bald den ersten Todesfall gibt...
Meinung:
Man kann "Die Grenzen der Unendlichkeit" vielleicht am besten dadurch charakterisieren, indem man schildert, was der Roman nicht ist. Im Gegensatz zu anderen Büchern von John E. Stith ist die Geschichte beispielsweise nahezu frei von Spannung. Nur gelegentlich verspürt der Leser einen leichten Drang zum Nägelkauen, etwa wenn ein Kapitel mit "Todesopfer" überschrieben ist und man sich fragt, wen es denn wohl wie "erwischen" wird. Ansonsten hat die Geschichte etwas Organisiertes, um nicht zu sagen Bürokratisches an sich. Die Protagonisten arbeiten in einer Raumfahrtorganisation, die – aus verständlichen Gründen – viel Wert auf Prozedere, geregelte Abläufe, Vorsichtsmaßnahmen und solche Dinge legt. Dieser Duktus ist auch in der Handlung spürbar. Als Leser ist man bereit, sich durch diesen "Wall aus Griesbrei" hindurchzuarbeiten, um ins Schlaraffenland der spannenden, ungestümen Geschichte zu gelangen, aber dieses Versprechen löst der Autor nahezu gar nicht ein.
Auch den Figuren merkt man an, dass sie sorgsam ausgearbeitet sind. Sie leiden jedoch ebenfalls unter dem kontrollierten Duktus, so dass der Leser nicht unbedingt wissen will, was das Schicksal für sie bereit hält. Man hat auch nichts dagegen, ihnen auf ihrem Weg zu folgen, denn dass er schreiben kann zeigt John E. Stith auch in diesem Buch. Aber wenn man das Buch nach der Hälfte der Seiten zu klappt, hat man nicht gerade das drängende Bedürfnis, weiterlesen zu wollen. Es ist wie bei einer halbwegs interessanten TV-Serie: Wenn man zur nächsten Folge zufällig wieder reinzappen sollte, schaut man sie sich gerne an, aber wenn man es vergisst, ist es auch nicht schlimm.
In diesem Roman gibt es auch nicht den einen Protagonisten, aus deren Perspektive man der Handlung folgt, wie es beispielsweise in Stiths Büchern "Rückkehr nach Neverend" oder "Zeitschichten" der Fall war. Stattdessen wechseln sich Abschnitte aus der Sicht von Alis und der von Karl ab. Das hätte dem Autor die Möglichkeit gegeben, beispielsweise dieselbe Szenerie, dieselben Geschehnisse aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln zu schildern. Aber auch diese Chance nutzt der Autor nur selten, in den meisten Fällen "funktionieren" sowohl Alis als auch Karl schlicht als Offiziere und sind damit "auf einer Wellenlänge". Auch die Ansätze, die sich aus Alis' Verwandlung in einen Cyborg ergeben – immerhin werden unter anderem auch ihre Augen ersetze, was ihr ganz wortwörtlich neue Perspektiven ermöglicht –, gehen weitgehend unter.Gut gelungen ist jedoch Alis' allmähliche Annäherung an Karl. Nach und nach erkennt sie, dass der Mann, dem sie die Schuld an ihrem Unfall, ihren Schmerzen und ihren Veränderungen gibt, doch nicht der leichtfertig bis böswillig herumhampelnde Tollpatsch ist, als den sie ihn sehen möchte.
Insgesamt ist "Die Grenzen der Unendlichkeit" ein Roman mit genügend Potential, das der Autor allerdings nicht ausspielt. Es ist keine Zeitverschwendung, das Buch zu lesen, man hat aber nicht viel verpasst, wenn man es bleiben lässt. An die anderen Titel von John E. Stith kommt es nicht heran.
Fazit:
"Die Grenzen der Unendlichkeit" ist ein schwächerer Titel aus der Feder von John E. Stith. Geschichte und Setting haben durchaus Potential, aber der Autor macht nur selten etwas daraus. Stattdessen überträgt sich die hoch organisierte, sicherheitsbewußte, strikt kontrollierte Arbeitsweise der Protagonisten auf den Duktus.
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John E. Stith
Die Grenzen der Unendlichkeit
Reckoning Infinity
Übersetzer: Thomas Schichtel
Erscheinungsjahr: 1999
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Bastei Lübbe
ISBN: 3-404-23216-X
445 Seiten
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