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Familiensuche - Teil 2
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Familiensuche

Denis Scheck nahm das zum Anlass, näher nachzufragen. Welche biografischen Erlebnisse konnte William Horwood mit Hilfe von Hyddenworld verarbeiten? Der Autor berichtete daraufhin aus seiner Kindheit: Seine Adoptivfamilie war stark akademisch geprägt. Sein Adoptivvater war ein Literaturwissenschaftler, der noch bei Tolkien persönlich studiert hatte. Seine Mutter war eine der ersten weiblichen Studenten an einer britischen Universität. Beide waren sehr distanziert und zeigten wenig Emotionen. Außerdem wusste Horwood sehr lange nicht, wer sein leiblicher Vater war. Das empfand er als große Leere. Um den Publikum das Gefühl verständlich zu machen, forderte er es zu einem Gedankenexperiment auf: Stellt Euch vor, Ihr entfernt aus Eurem Leben und Euren Erinnungen alles, was mit Eurem Vater zu tun hat. Ihn selbst, seine Seite der Familie, sein Zuhause und so weiter. All das wäre schlicht nicht da. Deshalb wurde die Suche nach elterlicher Liebe zu einem der großen Themen im Werk des Schriftstellers.

Viele Fantasy-Romane lassen sich auf den Nenner bringen, "Ein junger Mann geht auf eine Reise oder Queste und muss eine Aufgabe erfüllen". Oft besteht die Aufgabe darin, die Welt zu retten. Wie die große Aufgabe in Horwoods Geschichte gelöst wird, wollte der Autor noch nicht verraten, aber es habe etwas mit dem Wiederfinden dessen zu tu, was man in der Kindheit vermisst habe.

Die Ratten fühlen sich wohl auf dem Schiff

Das gilt in gewisser Weise sogar für William Horwood ganz persönlich. Denn es war während der Arbeit an Hyddenworld, als er – inzwischen deutlich über sechzig Jahre alt – erfuhr, wer sein leiblicher Vater war. Seine Mutter wollte ihm nie etwas dazu sagen, versprach aber, dass es ihn ihrem Nachlass einmal entscheidende Hinweise auf seine Identität geben werde. Und tatsächlich fand Horwood unter den Papieren seiner Mutter zusammen mit einer Geburtsanzeige von ihm ein Foto eines Mannes, versehen mit dem Vornamen "Julian". Dieser Mann war offenbar auch bei der Taufe des kleinen William dabei gewesen. Er erfuhr außerdem, dass sein leiblicher Vater Zoologe gewesen sein mit einem ungewöhnlichen Forschungsthema: Britische Truppentransporter im Zweiten Weltkrieg wimmelten oft von Ratten. Aber während an Land die Schädlinge mit Gift gut im Griff zu behalten waren, gelang das auf den Schiffen nicht. Horwoods Vater suchte nach dem Grund für dieses Phänomen.

Anhand dieser wenigen Hinweise macht sich der Schriftsteller auf die Suche, und nutzte dabei eine interessante Hypothese: Oft geben Eltern Interessen und Neigungen an ihre Kinder weiter. Der Sohn eines Schusters wird ebenfalls ein Schuster, nicht zwangsläufig, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Das Kind eines Wissenschaftlers könnte sich ebenfalls für Wissenschaft interessieren, vielleicht sogar für ein ähnliches Themengebiet wie die Eltern. Also schrieb Horwood einfach alle Wissenschaftler – es waren etwa ein halbes Dutzend – an, die sich mit Schädlingsbefall auf Schiffen befassten. Eine ältere Dame antwortete, was denn der Grund für seine Anfrage wäre. Die "Tarngeschichte", die er sich extra aufgebaut hatte, war schnell obsolet, und die Dame bemerkte zu seinen wahren Absichten, sie sei nicht überrascht, dass ihr Vater ein Frauenheld gewesen sei.

Die Ausfälle einer Halbschwester

Denn die Dame erwies sich als William Horwoods ältere Halbschwester. Man traf sich, aber die Frau war ihm nicht unbedingt sympathisch. Aber dem Autor wurde zunehmend klar, dass er diese Angelegenheit in seiner Vergangenheit klären musste, auch um den gerade anstehenden letzten Band der Hyddenworld zu Ende schreiben zu können. Also reiste er noch einmal zu seiner Halbschwester, die sich gerade in Frankreich aufhielt. Bürgermeister des kleinen Ortes, wo sie sich trafen, war ein Mann, dessen Aussehen man im Dritten Reich wohl mit "jüdischen Rassemerkmalen" beschrieben hätte. Horwoods Halbschwester machte, als sie ein Foto des Bürgermeisters sah, einen sehr antisemitischen Kommentar. Dieses Erlebnis löste gewissermaßen den Knoten bei ihm. Er war geradezu verzweifelt bemüht gewesen, mit jemandem aus seiner Geburtsfamilie in Kontakt zu kommen. Aber es hatte sich gezeigt, dass er dort auch jemanden antreffen kann, dessen Philosophie und Denkweise seiner eigenen komplett widerspricht. Dieses Erlebnis befreite ihn regelrecht von den Traumata seiner Kindheit, und jetzt konnte er auch das Ende des letzten Bandes schreiben. Überhaupt sei es für das Schreiben guter Fantasy unumgänglich, sich seinen Traumata, seinen ganz persönlichen "Dämonen" zu stellen. Tut ein Autor das nicht, kann das Ergebnis nach Horwoods Meinung nur sehr oberflächlich bleiben.
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Special vom: 09.07.2012
Autor dieses Specials: Henning Kockerbeck
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Tentakel! - Teil 1
William Horwood auf Deutsch - Teil 3
Tote Hobbits und Maulwurfsgenitalien - Teil 4
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