Das Leuchten der Sirene
Story:
Palermo, im späten 19. Jahrhundert. In einem stadtbekannten Bordell wird die Leiche des örtlichen Polizeichefs gefunden. Das kommt der Zentralregierung des neuen Königreichs Italien alles andere als gelegen, bietet der Fall doch reichlich Angriffsfläche für die Opposition. Also schickt Rom seinen besten Mann, Inspektor Michele Tindari in den Süden. Aber Tindari muss schnell feststellen, dass er mehr oder weniger der einzige in Sizilien ist, der den Tod des Polizeichefs unvoreingenommen aufklären möchte. Im Gegenteil, viele sähen es lieber, wenn die Wahrheit im Dunkeln bliebe, und sind auch bereit zu töten, um dieses Ziel zu erreichen. Bald ist der Inspektor aus dem Norden auch ganz persönlich in die Geschichte verwickelt...
Meinung:
Es ist nicht ganz einfach einzuordnen, was Domenico Campana hier vorlegt. Für einen Kriminalroman steht das Verbrechen, das es aufzuklären gilt, zu wenig im Zentrum. Die Suche nach dem Mörder ist zwar immer präsent und immer Thema, dient aber bis auf wenige Ausnahmen nur als Projektionsfläche und Bühne für andere Betrachtungen. Für ein Sittengemälde aus der italienischen Geschichte sind die Figuren zu stereotyp, die Vorurteile über "die Sizilianer", "die Römer" und so weiter zu plump. Das zeigt sich beispielhaft daran, dass der (selbstverständlich korrupte) Polizeichef im gesamten Roman erst gar keinen Namen erhält. Er ist immer nur "der Polizeichef", "der oberste Häscher" und so weiter. Er erfüllt nur seine Rolle.
Auch die anderen Figuren bleiben maskenhaft, praktisch ohne individuelle Persönlichkeit. Der alte Kopf einer Adelsfamilie, der sich nicht damit abfinden kann, dass in der neuen Zeit seine Klasse keine große Bedeutung mehr hat. Seine junge, überaus hübsche Tochter, die sich wegen mangelnder Liebe wahllos in die Arme unzähliger Männer flüchtet. Sein verzogener Erstgeborener, der die Schuld an den eigenen Taten nur bei anderen sucht. Der einheimische Polizist, der mit den örtlichen Clanchefs (ja, auch die "Mafia" fehlt nicht) und Familienoberhäuptern genauso selbstverständlich verkehrt wie mit den Behörden. Oder der alte Bandit vom Fischmarkt, der aber eigentlich das Herz am rechten Fleck hat. Und natürlich der Inspektor aus dem fernen Norden, der feststellen muss, dass auf Sizilien die Uhren doch ganz anders gehen, und der ständig der Versuchung ausgesetzt ist, von seinen hehren Prinzipien abzufallen.
Große Gesten, große Gefühle mit großer Moral (und oft ausführlichen Erläuterungen), aber der Funke will nicht überspringen. Der Leser fühlt sich wie bei einer Theater- oder Opernaufführung, bei der der Smalltalk in der Pause das eigentliche Stück an Qualität und Bedeutung übertrifft. Bei nahezu jeder Szene ist klar erkennbar, was der Autor sich dabei gedacht hatte, was er erreichen wollte. Nur leider funktioniert es so gar nicht. Fast rechnet man damit, dass die Figuren am Ende des Stückes, am Ende des Buches ihre Masken abnehmen und die Schauspieler zum Bühnenrand treten, um sich zu verbeugen.
Da passt, ohne zu viel verraten zu wollen, dass auch das Geheimnis hinter dem Tod des Polizeichefs am Ende eher kläglich daher kommt. Das soll es gewesen sein, deshalb das ganze Buhei?, fragt man sich als Leser unwillkürlich. Das kann stellvertretend für "Das Leuchten der Sirene" insgesamt stehen: Große Kulisse, aber nur wenig dahinter. Zu wenig.
Fazit:
Ein Romanchen, das zwischen Krimi, Thriller, Zeit- und Sittengemälde schwankt, aber als keines davon wirklich funktioniert. Maskenhafte Figuren erfüllen ihre Funktion in der Geschichte, ohne wirklich Persönlichkeit zu entwickeln oder gar den Leser zu fesseln.
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Domenico Campana
Das Leuchten der Sirene
L\'Isola delle Femmine
Übersetzer: Peter Klöss
Erscheinungsjahr: 1995
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Knaur
ISBN: 3-426-63032-X
227 Seiten
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