Jing-Wei und der letzte Drache
Story:
England im 14. Jahrhundert. Das Leben des jungen Justin spielt sich zwischen dem Hüten der Schweine, seinen nervenden Geschwistern und der ebenso blonden wie verwirrenden Müllerstochter ab. Eines Tages reist der Junge von seinem kleinen Dorf in die nächste Stadt, um einen durchreisenden Jahrmarkt zu sehen. Eine der Attraktionen dort ist Jing-Wei. Das Mädchen hat es aus China in das, im Vergleich zur Kultur seiner Heimat, rückständige England verschlagen. Nun muss sie sich mit ihren gebundenen Füßen und ihrer exotischen Erscheinung in einem Käfig als halbwildes Heidenmädchen begaffen lassen.
Als Justin am Abend in sein Dorf zurückkehrt, erwartet ihn ein grauenhaftes Bild: Die Siedlung ist völlig zerstört, alle Häuser sind niedergebrannt, niemand hat überlebt. Auch zuvor schon waren Dörfer in der Umgebung angegriffen worden. Man erzählte sich, es seien die feindlichen Schotten gewesen, oder die Pest sei als Feuer vom Himmel gefallen. Manche sagen aber auch, Urheber der Zerstörung sei ein Drache gewesen...
Meinung:
Sherryl Jordan ist eine bekannte Jugendbuch-Autorin, und auch "Jing-Wei und der letzte Drache" richtet sich eindeutig an die jüngere Leserschaft. Es gibt nur einen Erzählstrang neben der knappen Rahmenhandlung, die die Kapitel einfasst, die Sprache ist eher einfach gehalten, und die Handlung schreitet geradlinig voran. Ältere, erfahrenere Leser ahnen schnell, wie die Geschichte weitergehen dürfte: Natürlich trifft Justin auf seinem Irrweg nach der Zerstörung seines Heimatdorfs Jing-Wei wieder, natürlich steckt ein Drache hinter den Angriffen, und natürlich machen sich die beiden Jugendlichen auf den Weg, um das Untier zu töten.
Das soll jedoch nicht heißen, dass hier kein spannendes und lohnenswertes Buch vorläge. Die Charaktere sind gut und mit der richtigen Portion Realismus gezeichnet. Keine Figur ist völlig weiß oder schwarz, jeder hat seine Fehler, aber auch seine guten Seiten – sogar der Drache ist nicht nur "das böse Monster, das böse ist, weil es ein Monster und böse ist". Der Schweinehirt Justin wird nicht bei Beginn des Abenteuers quasi automatisch zum edlen, furchtlosen Recken, ganz im Gegenteil. Und die Figuren erscheinen glaubhaft in ihrer Zeit verwurzelt. Dem Jahrmarktsbesitzer fällt es schwer, Jing-Wei als richtigen Menschen zu betrachten, für ihn ist sie vor allem sein wertvollstes Ausstellungsstück. Aber er wird nicht als herzloser Ausbeuter geschildert, sondern eben als Mann aus dem mittelalterlichen England, der mit einem exotischen Wesen konfrontiert wird und eine Chance sieht, seine Familie zu ernähren.
Auch die Geschichte trägt dazu bei, aus "Jing-Wei und der letzte Drache" einen lesenswerten Roman zu machen. Selbst wenn der Leser oft ahnt, wie es weitergehen könnte – und es an manchen Stellen aufgrund der Rahmenhandlung sogar weiß – läßt Sherryl Jordan nie den Spannungsfaden abreißen. Justin und Jing-Wei sind immer unterwegs, sei es körperlich oder im übertragenen Sinne. Die sehr bildhafte und schnörkellose Sprache tut ihr übriges.
Insgesamt kann man sagen, wer ein Geschenk für einen vielleicht zwölf- oder vierzehnjährigen Jugendlichen sucht, der Büchern nicht völlig abgeneigt ist, sollte hier einmal näher hinschauen. Und auch ältere Leser können "Jing-Wei und der letzte Drache" genießen, wenn sie sich der angesprochenen Beschränkungen bewußt sind. Verlorene Zeit ist die Lektüre in jedem Fall nicht.
Fazit:
Ein Buch, das merklich für eine junge Zielgruppe geschrieben wurde, und erwachsene Leser schon mal unterfordert. Aber Jugendliche bekommen eine spannende Abenteuergeschichte mit einem Schuß Humor und etwas Romantik.
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Sherryl Jordan
Jing-Wei und der letzte Drache
The Hunting of the Last Dragon
Übersetzer: Cornelia Stoll
Erscheinungsjahr: 2005
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Sauerländer
Preis: € 14,90
ISBN: 978-3-7941-6044-0
222 Seiten
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