Der Wille meines Vaters: Wie ich seinem Wahn entkam
Story:
Die Kindheit von Maudel Julien war grausam. Seit drei Jahren wurde sie von ihren Eltern eingesperrt und wurde von diesen erzogen. Sie sollte zu einem Übermenschen werden, der das Böse besiegt. Was folgt sind Jahre des Martyriums.
Meinung:
Wiederholt ist in den Nachrichten die Rede von Sekten und wie sie die Menschen, die ihnen angehören im Griff haben. Doch solche Fanatiker, die ihren eigenen Glaubensregeln folgen, müssen nicht unbedingt in Gruppen existieren. Im Falle von Maude Julien waren es einzig und allein ihr Vater und ihre Mutter, die sie nach obskuren Regeln aufzogen. Und darüber berichtet sie in "Der Wille meines Vaters".
Man mag irgendwie nicht so recht glauben, worüber die Autorin in ihrer Autobiografie berichtet. Dass sie mit drei Jahren quasi von ihrem Vater eingesperrt wurde. Und dass sie sie keine normale Kindheit erlebt hat.
Klingt hart? Und doch stimmt es! Denn ihr Vater hat sich von Anfang in den Kopf gesetzt, sie zu einem Übermenschen zu erziehen. Zu jemanden, der die Menschheit errettet, vor der Katastrophe, die da sicher kommen wird. Und diesem Zweck ordnet er alles unter.
Und ihre Mutter? Folgt ihrem Ehemann willentlich. Was vielleicht auch daran liegt, wie diese Ehe entstand. Denn Maudes Vater hat sie als kleines Kind ihrem Vater, einem ärmlichen Arbeiter abgekauft. Er ließ ihr eine gute Erziehung angedeihen und heiratete sie, als sie volljährig war, um mit ihr ein Kind zu zeugen, von dem er überzeugt war, dass eben jenes der von ihm ersehnte Übermensch sei.
Es ist eine grausame Vorstellung. Und man kann noch nicht einmal Ansatzweise nachvollziehen, was diesen Mann zu dieser Tat bewogen hat. Laut der Autorin waren es vor allem esoterische Gründe, aber auch Erinnerungen aus dem zweiten Weltkrieg. Denn er lässt sie zum Beispiel wiederholt Musik üben, mit dem Argument, dass sie damit ihre Gefängniswärter dazu bringen könnte, ihr Leben zu verschonen.
Eindrucksvoll beschreibt Maude Julien wie ihr Leben unter diesen Umständen aussah. Wie wenig Schlaf sie gekriegt hatte oder wozu ihr Vater sie zwang. So zwang er sie zum Beispiel zu Salti oder bei Bauarbeiten mitzuwirken, obwohl sie dazu eigentlich noch zu klein ist. Alles in ihrem Leben war geplant und vorgeplant. Eine grausame Vorstellung, die man da liest.
Umso bedeutsamer sind die wenigen Momente des Glücks, die der Autorin ermöglicht sind. So erhält sie bald eine Schäferhündin mit dem Namen Lili, die sie tagsüber für bestimmte Zeiten aus dem Zwinger rauslassen darf. Herzergreifend sind die Passagen, in denen das Miteinander der Zwei beschrieben wird. Doch auch hier herrscht das strikte Regime ihres Vaters, als er die Hündin schon früh als Wachhund abrichtet, der alles und jeden angreift, der die Besitztümer angreift.
Trost findet Maude jedoch nicht nur in ihrer Hündin, sondern auch in den Büchern und der Musik. Allerdings nicht in den Werken, die ihr Vater sie zwingt zu lesen, sondern in bekannten Kinderbüchern. Diese kleinen Momente der Rebellion, wenn sie diese Romane kurz vorm Zuschlafengehen liest, sind lichte Augenblicke in der Autobiografie.
Maude verschont ihren Leser nicht. Sie erzählt wirklich alles, in einer teils monoton wirkenden Schreibweise. Doch passt dies perfekt zu ihren Erinnerungen, in denen der Tagesablauf oft immer derselbe ist, mit nur wenig Abwechslung. Dadurch ist die Wirkkraft, ihre Aussagekraft umso brutaler.
"Der Wille meines Vaters" ist kein einfaches Werk. Man wird viel daran zu knabbern haben. Und deshalb ist das Buch auch ein "Klassiker" und ein "Splashhit".
Fazit:
Bedrückend Beeindruckend schreibt Maude Julien über ihre Kindheit. Man kann nicht nachvollziehen, wieso ihre Eltern so agiert haben, wie sie agiert haben. Man hat nur Mitleid mit diesem Mädchen. Und genießt gemeinsam mit ihr ihre spärlichen Momente der Rebellion. Die monotone Art und Weise, wie sie das Geschehen schildert passt dabei perfekt zum kaum variierten Tagesablauf, den sie hatte. Ein geniales Buch, das man lesen muss!
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