Der Ungeladene Gast
Story:
Es ist das Jahr 1912, der 30. April, genauer gesagt. Für Emerald Torrington ein besonderes Datum, denn sie feiert dann ihren 20. Geburtstag. Doch das Fest steht unter keinem guten Stern. Zuerst muss ihr Stiefvater abreisen, damit die Familie Geld fürs weitere Überleben besitzt. Und dann verunglückt auch noch in der Nähe von Sterne, ihrem Zuhause, ein Zug. Und die Familie soll die Überlebenden aufnehmen, bis Hilfe kommt. Doch schnell stellt sich heraus, dass irgendetwas mit diesen Menschen nicht stimmt. Und so wird es eine stürmische Nacht, in jederlei Hinsicht.
Meinung:
Geschichten wie Mary Shellys Frankenstein oder Bram Stokers Dracula wohnt ein gewisser Charme inne. Die Art und Weise, wie in den beiden Erzählungen leichter Grusel aufkommt, wirkt auch heute noch, viele Jahre nach ihrem Ersterscheinen. Sadie Jones versucht in ihrem Roman "Der Ungeladene Gast" etwas von diesem Gefühl wiederzugeben.
Die Autorin wurde 1967 geboren. Sie ist die Tochter des Jamaika-stämmigen Poeten und Drehbuchautoren Evan Jones sowie der Schauspielerin Joanna Jones. Sie wurde an der Godolphin and Latymer School unterrichtet und mochte es dort nicht. Bald darauf fing sie in Paris als Kellnerin an zu arbeiten und schrieb unterdessen vier Drehbücher und ein Theaterstück, die jedoch nie produziert wurden. Erst mit ihrem Debütroman "Der Außenseiter" gelang ihr der Durchbruch. Die Geschichte wurde 2009 im Diana-Verlag auf Deutsch herausgebracht.
Am 30. April 1912 feiert Emerald Torrington ihren 20. Geburtstag. Doch Feierstimmung will nicht wirklich aufkommen. Der Familie geht allmählich das Geld aus, weshalb der Stiefvater sich aufmacht, um in Manchester nach einem Darlehen zu fragen. Während seiner Abwesenheit geht das Leben auf Sterne seinen gewohnten Gang und alle präparieren sich für den Abend, wo das neue Lebensjahr der ältesten Tochter standesgemäß gefeiert werden soll.
Doch dann verunglückt ein Zug in der Nähe von Sterne und die Überlebenden sollen in dem Haus untergebracht werden. Und während die Geburtstags-Gäste eintrudeln, tauchen auch immer mehr von jenen auf, die angeblich das Unglück überstanden. Doch etwas scheint nicht zu stimmen. Und als dann Charlie Traverish-Beacon auftaucht, ebenfalls angeblich ein Überlebender, wird die Lage immer irrealer.
Wer "Der Ungeladene Gast" liest, muss bereit sein, sich auf die Handlung einzulassen und einige Dinge als gegeben hinzunehmen. Denn die Autorin schreibt keinen geradlinigen Roman, in dem alles Sinn und Zweck ergibt. Vielmehr liefert sie eine Geschichte ab, in der in einem Raum eine Geburtstagsfeier stattfindet und die Zelebrierenden keinen Gedanken an die Überlebenden direkt nebenan verschwenden. Oder dass die Erwachsenen ständig vergessen, dass auch ein Kind im Haushalt wohnt, welches deshalb größtenteils sich selbst überlassen aufwächst.
Dieses Irreale ist Teil des Konzeptes des Romans. Durch diese Unglaubwürdigkeit verstärkt Frau Jones die geheimnisvolle, merkwürdige Atmosphäre ihrer Geschichte. Sie verdichtet sie sogar immer weiter, bis es zu einer alles entscheidenden Szene kommt und der Gegenspieler seine Maske fallen lässt. Und man liest es mit einem wohligen Schauer, der einen über den Rücken jagt.
Gleichzeitig ist der Ton des Buches locker. Nur dadurch ist man auch willens, über die Versuche von Smudge, so wird das jüngste Mitglied der Familie genannt, den Schattenriss eines Ponys zu zeichnen, zu lächeln. Sie tut dies nämlich so, dass Sie ein solches Huftier die Treppe rauf in ihr Zimmer lotst. Dabei ist "Der Ungeladene Gast" zwar komisch geschrieben, doch handelt es sich hierbei um leichte Komik. Man wird sich beim Lesen nicht vor Lachen auf die Schenkel klopfen, was der gruseligen Atmosphäre des Buches auch nicht gut täte. Aber ein Schmunzeln wird man sich nicht verkneifen müssen.
Es gelingt der Autorin perfekt, die Atmosphäre jenes Jahres einzufangen. Es ist der Übergang zwischen zwei Zeitaltern. Die Moderne rückt unaufhaltsam näher und damit auch das Erstarken des Bürgertums. Gleichzeitig halten die Torringtons an die alten sozialen Regeln des britischen Landadels fest, egal wie schlecht die Zeiten auch sein mögen. Dabei ist klar, dass es ihre Zeit ist, die vergeht.
"Der Ungeladene Gast" liest sich spannend, vorausgesetzt man übersteht den lahmen Anfang. Es ist klar, dass Frau Jones erst Aufbauarbeit leisten muss. Doch zieht sich Diese hin. Erst nach rund 75 Seiten ist die Geschichte endlich soweit, dass man den Roman auch lesen kann. Das erfordert natürlich Sitzfleisch und man kann sich nur an den Gedanken klammern, dass es später besser wird.
"Der Ungeladene Gast" ist ein gut geschriebener Roman. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und deshalb erhält er auch die Bewertung "Reinschauen".
Fazit:
Mit "Der Ungeladene Gast" schreibt die Britin Sadie Jones eine leicht gruselige Geschichte. Wenn man bereit ist, sich auf die Handlung einzulassen und gewisse Begebenheiten als gegeben zu akzeptieren, erhält man eine durchaus interessante Handlung. Die Atmosphäre des Romans ist geheimnisvoll und merkwürdig. Gleichzeitig ist der Ton auch locker, was durch einige Absurditäten verstärkt wirkt. Nur der lahme Beginn stört den Gesamteindruck.
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