110: Ein Bulle hört zu - Aus der Notrufzentraler der Polizei
Story:
Was erleben eigentlich die Leute, die einen Notruf annehmen? Was kriegen sie mit und wie nah gehen ihnen diese Erlebnisse? Eine Antwort liefert dieses Buch.
Meinung:
110 ist eine der am meisten gewählten Nummern in Deutschland. Wer sie wählt, wird mit der Polizei verbunden, die sich die Lage anhören und dementsprechend handeln. Doch was kriegen diese Menschen mit? Cid Jonas Gutenrath gibt in seinem Debüt-Werk: "110: Ein Bulle hört zu" einen Einblick in diese Welt.
Der Autor wurde 1966 geboren und kann auf ein bewegtes Leben zurückschauen. Er war Heimkind, Türsteher, Marine-Taucher, Bundesgrenzschützer, Streifenpolizist und Zivilfahnder. Schließlich war er ein Jahrzehnt lang in der Notruf-Zentrale der Berliner Einsatzzentrale tätig. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
Als Außenstehender hat man selten die Chance einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Man sieht Ereignisse, wie das wählen eines Notrufes, nur aus der eigenen Perspektive. Man macht sich keine Gedanken darüber, was mit der Person ist, die den Anruf annimmt. Es geht einem nur darum, dass geholfen wird.
Dabei ist die Arbeit in der Notruf-Zentrale einer Einsatzzentrale der Polizei sicherlich kein Zuckerschlecken. Man wird mit einer großen Spannweite an Fällen konfrontiert, von denen einige schockierend sind, andere aber auch wiederrum komisch sind. Denn nicht jeder, der die 110 wählt, tut dies auch aus zwingend notwendigen Gründen.
Einen Einblick in die Arbeit der Telefonisten bietet Cid Jonas Gutenrath. Man erhält eine Auswahl aus zehn Jahren Polizeiarbeit. Und der Autor schafft es gleich von der ersten Seite an, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann. Erst, wenn man das letzte Blatt gelesen hat, wird man erleichtert den Band zuklappen.
Das man so fasziniert ist, liegt vor allem an dem Schreibstil des Autors. Man merkt, das Gutenrath kein routinierter Schreiber ist. Er erzählt frei von der Leber, sehr ausschweifend, doch dazu später mehr, aber auch sehr pointiert. Er unterstreicht damit die jeweilige Stimmungssituation und nimmt dadurch den Leser richtiggehend gefangen.
Es sind vor allem die menschlichen Schicksale, die einen faszinieren. Eine junge Frau will aus Liebeskummer Selbstmord begehen, ein Mädchen ruft an, weil seine Mutter betrunken ist, und ein Fahrer beschwert sich, dass die Müllabfuhr ihm den Weg versperrt. Man lacht, man weint und man fragt sich, wie es Gutenrath schafft, manche Schicksalsschläge zu verkraften. Denn nicht immer ist die Polizei rechtzeitig da, nicht immer schafft er es, einen Fall zum Guten zu wenden. Er verschweigt nichts, was das Buch so gut macht.
Und gleichzeitig auch so unerträglich. Denn Gutenrath neigt zur ausschweifenden Schreibweise. Gerne erzählt er seitenlang über seine Vergangenheit, ehe er am Ende gerade so noch den Bogen zum aktuellen Fall kriegt. Sein Leben ist durchaus interessant. Nur steht dies nicht im Mittelpunkt des Buches, sondern seine Polizeiarbeit als Telefonist. Die einzelnen Fälle werden durch die Weitläufigkeit in den Hintergrund gedrängt. Ganz extrem wird es am Ende, wo das Verhältnis Rückblick auf das eigene Leben zum Fall in keinem Verhältnis steht.
Vielleicht entschließt sich der Autor irgendwann mal dazu, eine Autobiographie zu schreiben. Die würde sich sicherlich gut verkaufen. Doch in diesem Fall sorgt seine Nabelschau dafür, dass man das Buch zwar zum "Reinschauen" empfehlen kann. Wenn er allerdings auf seine ausgiebige Vergangenheitstour verzichtet hätte, wäre die Wertung wesentlich höher ausgefallen.
Fazit:
Cid Jonas Gutenrath liefert mit "110: Ein Bulle hört zu" einen Einblick in die Arbeit eines Telefonisten bei der Polizei. Die Fälle, die er schildert, sind abwechslungsreich und rufen die verschiedensten Emotionen hervor. Als Leser wird man den Tränen nah sein, aber auch herzlich lachen. Allerdings neigt der Autor zur Weitläufigkeit. Oft genug benötigt er lange, um zum eigentlichen Fall zu gelangen. Vorher erzählt er lang und breit aus seiner eigenen, nicht uninteressanten Vergangenheit. Nur ist die nicht das Thema seines Buches.
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