Der Pavillon der Kraniche
Story:
Im alten China, gegen Ende der Tang-Dynastie, lebt ein Mönch, den man Rettichherz nennt. Er ist auch in der Heilkunst sehr erfahren, daher ruft man ihn zu Hilfe, als es in einem befreundeten Kloster zu mysteriösen Todesfällen kommt. Zehn Mönche sind bereits gestorben, und nun liegt auch der kaiserliche Großerzieher krank danieder. Schnell stellt Rettichherz fest, dass Gift im Spiel ist. Aber wer steckt hinter den Geschehnissen? Der Mönch rührt an Geheimnisse, die mächtige Menschen lieber unaufgedeckt halten möchten...
Meinung:
Historische Kriminalromane spielen sehr oft im mittelalterlichen England, eine Reihe auch im alten Rom. Andere Schauplätze und Epochen sind vergleichsweise selten. Da ist es erfrischend, eine Geschichte aus dem alten China zu lesen. Der Verlag gibt dem "Pavillon der Kraniche" den Untertitel "Ein Krimi aus dem alten Tibet" mit, aber das heute umstrittene Land spielt keine nennenswerte Rolle in der Handlung. Es sei dahingestellt, ob der damalige Schauplatz heute in Tibet liegt, die Geschichte könnte jedenfalls auch anderswo im China des späten 8. Jahrhunderts nach unserer Zeitrechnung spielen.
Die Grundstrukturen dieser Geschichte dürften einem Fan historischer Krimis bekannt vorkommen: Es kommt zu unerklärlichen Todesfällen, die ein Heilkundiger aufklären soll. Dabei rührt er an Geheimnisse, deren Aufdeckung mächtigen Zeitgenossen unbequem werden könnte. Dieses Muster kann man, nicht nur in der Literatur, wohl in den verschiedensten Ländern und Epochen finden. Dadurch kommen auch Leser, die mit der asiatischen Geschichte und Mentalität nur wenig vertraut sind, ohne größere Probleme zurecht. Allerdings ist das "Chinesische" nicht nur exotische Kulisse. Man merkt den Figuren diesen Hintergrund sehr wohl an.
Vor allem die Zurückhaltung fällt auf. Vieles deuten die Charaktere im Gespräch untereinander nur an oder erwähnen es maximal im inneren Monolog. Nur selten brechen die Gefühle aus. Entsprechend ist die Grundstimmung der Erzählung: Ruhig, gelassen, auf den ersten Blick vielleicht sogar langweilig. Das könnte manchen Leser dazu verleiten, den Roman zu unterschätzen. Das wäre allerdings schade, denn sozusagen unter der Oberfläche brodeln teilweise die Gefühle regelrecht. Hier hat auch die Spannung, die der Autor durchaus aufzubauen versteht, ihren Ursprung. Zur Gelassenheit kommt eine gute Portion Heiterkeit. Die Figuren flechten häufig Spitzen, gegen einander oder auch gegen sich selbst, in ihre Dialoge ein. Und auch der erzählende Text hat einige Pointen zu bieten, die den Leser mindestens zum Schmunzeln bringen dürften – auch hier, auf ziemlich zurückhaltende Weise.
Eine große Rolle spielt, angesichts von Rettichherzens Status als Geistlichem und von Ort und Zeit der Handlung, die Religion. Verschiedene Spielarten von Buddhismus und Taoismus ringen um Einfluss, und die Figuren begründen ihre Handlungen oft religiös – sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Dabei ist ein merklicher Hand zum Buddhismus zu erkennen, der deutlich besser wegkommt als der Taoismus. Das ist bei diesem Autor nur begrenzt verwunderlich. Nach Angaben des Verlags wurde Eno Daven 1949 in Paris geboren, hat in den verschiedensten Berufszweigen in Asien parallel gearbeitet und praktiziert seit zwei Jahrzehnten den Zen-Buddhismus. Allerdings gleitet Daven nie in eine plumpe Schwarz-Weiß-Darstellung ab oder beginnt gar zu predigen. Nie bestimmt die Religion völlig den "Status" einer Figur als Held oder Bösewicht, bei den meisten ist der Glaube mehr Mittel zum Zweck in die eine oder andere andere Richtung.
Die historische Einbettung ist, soweit es für den interessierten Laien erkennbar ist, stimmig. Inwieweit Fehler wie der Name einer Provinz, die erst Jahrhunderte später entstehen sollte, dem Autor oder der deutschen Übersetzung anzulasten sind, muss an dieser Stelle offen bleiben.
Insgesamt ist "Der Pavillon der Kraniche" eine nette Lektüre für zwischendurch. Eno Davon erfindet das Genre trotz des erfreulich ungewohnten Schauplatzes nicht neu, aber der mit knapp über 200 Seiten relativ kurze Roman lohnt die Lektüre.
Fazit:
Ein kleiner historischer Roman, der das Genre nicht neu erfindet, aber mit einem ungewöhnlichen Schauplatz und Spannung hinter gelassener Heiterkeit punkten kann. Die Religion spielt eine große Rolle, aber der Autor gerät nichts in Predigen.
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Eno Daven
Der Pavillon der Kraniche
L'Enigme Du Pavillon Aux Grues
Übersetzer: Sylvia Ants
Erscheinungsjahr: 1996
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Econ
ISBN: 3-612-25115-5
207 Seiten
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