Mein Name ist Victoria
Story:
Wann immer endlich eine Diktatur zu Ende geht, gilt es die Gräueltaten der Vergangenheit aufzuarbeiten. Denn viele Leben sind durch die Herrschaft des unterdrückenden Regimes nachhaltig verändert worden. Familien sind auseinander gerissen worden und viele Kinder mit Lügen aufgewachsen. Umso schöner ist es, wenn eines jener Opfer endlich die Wahrheit über seine eigene Vergangenheit erfährt. Wie bei der argentinischen Politikerin Victoria Donda, die unter einem falschen Namen aufgezogen wurde.
Meinung:
Lange Zeit war Argentinien politisch instabil. In den Jahren 1955 bis 1983 wechselten sich demokratische und diktatorische Regierungen ab. Das letzte Militär-Regime, welches während dieser Jahre herrschte, war dabei eines der schlimmsten. Tagtäglich verschwanden Menschen und wurden nie wieder gesehen.
Viele unvorstellbare Taten wurden damals begangen, doch keine war so schlimm wie die Zwangsadaption vieler Kinder. Unter den Verschleppten waren nämlich auch werdende Mütter. Man wartete ab, bis sie niederkamen, nahm ihnen die Babys weg und "verlegte" die Frauen dann. Dies war eine euphemistische Umschreibung für kaltblütigen Mord.
Auch Victoria Dondas Mutter zählte zu jenen Opfern. Sie selbst ist die jüngste Abgeordnete im argentinischen Parlament. Eines ihrer Hauptanliegen sind die Opfer der Militärdiktatur. Zu jenen zählt sie sich auch, wobei ihr Schicksal noch etwas schlimmer wirkt.
Denn ihr angeblicher Vater ist eigentlich ihr Onkel. Er war ein überzeugtes Mitglied des Militärs, was sogar soweit ging, dass er seinen eigenen Bruder und dessen Frau, Victorias wahre Eltern, ohne Skrupel verriet. Und so wurde sie unter einem falschen Namen aufgezogen. Analina hieß sie offiziell, was natürlich eine Lüge war, eine von vielen.
Ihr Buch ist dabei nicht nur der Versuch einer Aufarbeitung ihres eigenen Lebens, sondern auch der Geschichte ihres Landes und ihrer Eltern. Sie schreibt dabei so, dass selbst Leser, die nicht Argentinien kenne, ausreichend über die nötigen und wichtigen Hintergründe informiert werden. Und so erlebt man eindrucksvoll, wie ihr angeblicher Vater ihre wahren Eltern umbringen ließ und diese Tat gegenüber der Familie lange leugnete. Oder, wie die junge Demokratie Argentiniens gezwungen wurde, Gesetze zu erlassen, die die Täter der Diktatur lange Zeit schützten.
Sie selbst beschreibt sich als jemand, der von Anfang rebellisch war. Der sich gegen die Regeln auflehnte und in Che Guevara ein Idol fand. Victoria wurde Sozialistin und folgte damit, ohne es zu wissen, in die Fußstapfen ihrer Eltern. Es wirkt wie eine Ironie des Schicksals, dass sie selbst so unbewusst ihren Erzeugern nacheiferte.
In ihrem Buch deckt sie erbarmungslos die Mechanismen der Diktatur auf. Schonungslos schildert sie, was das Regime all jenen antat, die nicht so dachten wie es selbst. Besonders heftig ist dabei die Darstellung der "Verlegung". Die Unglücklichen, die dies betraf, wurden betäubt und dann über einem tiefen Fluss oder dem Meer abgeworfen. Was mit ihnen anschließend geschah, kann man sich denken und es vertieft die Abscheu, die man gegenüber jenem Regime fühlt.
Doch so eindrucksvoll die Erinnerungen von Victoria auch sind, so pathetisch ist leider das Vorwort der Organisation H.I.J.O.S. geworden. Jene setzen sich für die Strafverfolgung der Täter der Militärdiktatur ein. Was nun die Vertreter vor den eigentlichen Erinnerung schreiben, liest sich stark nach übertriebenen Selbstlob und übertriebenem Druck auf die Tränendüse. Es schmälert etwas den Gesamteindruck.
Das Buch ist insgesamt gesehen ein "Klassiker", doch die Einleitung ist leider ein Schönheitsfehler, der eine absolute Topwertung verhindert.
Fazit:
Victoria Donda erzählt in "Mein Name ist Victoria" nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die ihrer Eltern und ihres Landes. Man ist als Leser von dieser rebellischen Person fasziniert, die unbewusst in die politischen Fußstapfen ihrer Eltern getreten ist. Dabei schreibt sie so, dass man auch als absoluter Laie nachvollziehen kann, was das Militärregime ihr und anderen angetan hat. Besonders die Gräueltaten werden dabei erbarmungslos aufgedeckt. Was eine wirkliche Spitzenwertung allerdings verhindert ist das übertrieben pathetische und stark nach Selbstlob aussehende Vorwort der Organisation H.I.J.O.S. Dennoch sollte man sich diesen Titel zulegen.
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