Die Unperfekten
Story:
Rom, 2007. Eine internationale
Tageszeitung hat den Kampf gegen den Auflagenschwund und ihren
Geldgeber verloren. Wie kam es dazu? Wie gingen die Mitarbeiter in
den letzten Wochen und Monaten mit Budgetkürzungen, dem Druck in der
Redaktion und ihren eigenen privaten Problemen um? Und wieso gründete
ein amerikanischer Industrieller 1953 in der ewigen Stadt eine
englischsprachige Zeitung?
Meinung:
Der studierte Filmwissenschaftler und Journalist Tom Rachman erregte mit seinem Romandebüt "Die Unperfekten" weltweit viel Aufmerksamkeit. Seit 2010 liegt das Buch auch in deutscher Sprache vor und wird in den hiesigen Feuilletons in höchsten Tönen gelobt - und das völlig zu Recht.
Der in Großbritannien geborene, jedoch in Kanada aufgewachsene Rachman arbeitete u. a. in New York, Indien und Rom für die Nachrichtenagentur AP, kennt also sowohl das stressige Leben eines Reporters als auch das bunte Treiben in der italienischen Hauptstadt. So zeigt er den Lesern nicht nur den Alltag der einzelnen Mitarbeiter, sondern auch die Hierarchie im römischen Newsroom, die Hürden, die täglich bis zum Redaktionsschluss zu meistern sind, und schließlich auch das, was nach Feierabend daheim auf die Journalisten wartet - wobei Liebe zum Detail und Humor nie zu kurz kommen. Da ist z. B. der Nachrufschreiber Arthur Gopal, der trotz - oder gerade wegen - einer persönlichen Tragödie beruflich aufsteigt; die Finanzchefin Abbey Pinnola, die nur abwertend "Miss Buchhaltung" genannt wird und die Vorgaben ihrer Bosse sehr zum Missfallen der Belegschaft umsetzen muss und an der sich ein gefeuerter Mitarbeiter schließlich rächt; oder der Nachrichtenchef Craig Menzies, der die Einsamkeit mehr als alles andere in der Welt fürchtet und daher seiner jungen Lebensgefährtin wegen eines Seitensprungs nicht böse sein kann.
In insgesamt elf kurzen Erzählungen schafft es Rachman, für jeden seiner "Unperfekten" Sympathie zu erwecken. Diesen Kurzgeschichten folgt jeweils ein Rückblick, der von den Gründungsideen Cyrus Otts im Jahr 1953 über das zwiespältige Verhältnis seiner Erben zu dessen Lieblingsprojekt bis hin zur Einstellung der Zeitung 2007 reicht. So erschließen sich dem Leser langsam die Gründe, warum die Tageszeitung keine Zukunft mehr gehabt hat. Herman Cohen, Chefkorrektor und teilweise Chefredakteur des Blattes, wehrt sich vehement gegen einen Onlineauftritt der Gazette, obwohl dies in der Zeitungswelt längst Usus geworden ist. Für ihn ist das Internet, in dem sich jeder "Journalist" schimpfen könne, nicht mit der ehrenwerten Aufgabe eines Zeitungsredakteurs vereinbar, der die Welt über das wirklich wichtige Geschehen informieren möchte.
Gegen seinen Starrsinn kommt selbst die aktuelle Chefredakteurin Kathleen Solson nicht an. Auch Oliver Ott, der Enkel des Gründers, mag keine neuen Impulse geben, da er doch völlig ungeeignet für die Position eines Verlegers ist. Zudem muss auch er sich der Meinung des Aufsichtsrats im Familienunternehmen beugen, der die unrentable Zeitung schnellstmöglich loswerden möchte. Auf der Strecke bleiben zum Schluss nicht nur einzelne Redakteure, sondern auch die Leserschaft. So steht die treue Leserin Ornella de Monterecchi am Tag des "Aus" in der Redaktion und kann das Ende ihrer Zeitung kaum fassen.
Tom Rachmans Debüt zeigt deutlich, welchen Kampf manche Zeitung Tag für Tag aufs Neue bestreiten muss. Die Auflage geht zurück, Werbekunden starten keine großen Kampagnen mehr, der potenzielle Leser verliert das Interesse am gedruckten Medium und mit Abonnements allein kann keine Zeitung mehr überleben. Es vergeht inzwischen kein Monat mehr, in dem nicht das Ende der klassischen Printmedien prophezeit wird. Wenn dann noch die Stimmung in der Redaktion von Sticheleien unter den Mitarbeitern geprägt ist, ist das alltägliche Nachrichtengeschäft umso schwerer zu bewältigen. Kein Wunder, dass die Journalisten ihren Ärger mit nach Hause nehmen. Vor diesem Hintergrund ist die pessimistische Grundstimmung, die der Autor sowohl im Berufs- als auch im Privatleben der Protagonisten beschreibt, nur verständlich. Dennoch bleibt die Frage im Raum stehen, ob tatsächlich alle Journalisten solch ein bedrückendes, geradezu unglückliches Leben leben wie es Rachmans "Unperfekte" tun.
Fazit:
„Die Unperfekten“ ist ein
stimmungsvoller Roman und eine Hommage an die Tageszeitung. Der
Alltag der Protagonisten wird von Rachman stets interessant, spannend
und oft auch mit viel schwarzem Humor geschildert. Schade nur, dass
dieses lesenswerte Buch ein pessimistisches Bild des Journalismus
zeigt, auch wenn die Ursachen hierfür auf der Hand liegen. Doch wer
ist schon perfekt?
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