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Freude, Reden und Sicherheit
Um 17.00 Uhr stand noch die feierliche Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2008 auf dem Programm. Aber dorthin zu kommen, erwies sich als gar nicht so einfach. Bereits ein gutes Stück vor dem Kongresszentrum, wo die Eröffnungsfeier stattfinden sollte, blockierten einige Sicherheitsleute der Buchmesse den Gang. So einfach durchgehen war nicht, aber ein kurzer Blick auf die Pressekarte schaffte dann doch Abhilfe. Am Eingang zum Kongresszentrum musste ich erst mal nachfragen, ob ich da auch richtig war. Auf den ersten Blick hätte man nämlich meinen können, ich sei falsch abgebogen und am Frankfurter Flughafen gelandet. Sicherheitsschleusen, Ablegen und Durchleuchten von Tasche und Jacket, Abgleich der Pressekarte mit dem Personalausweis - alles da. Und wenn man wie ich irgendeine Tasche dabei hatte, wollte jemand vom freundlichen Sicherheitspersonal einen Blick hineinwerfen. Ob der Kugelschreiber auch am unteren Ende noch ein Kugelschreiber ist? So genau wurde meine alte Gürteltasche selten unter die Lupe genommen.

Noch ein Stück zum richtigen Saal - passenderweise "Harmonie" genannt -, und wieder alle paar Meter Wachleute. Am Eingang zum Saal selbst dachte ich schon, etwa hier würde dieser Bericht ein abruptes Ende finden. Denn wieder wurde genau kontrolliert, wer da reingeht. Ein Herr vor mir war schon drin, hatte dann den Saal wieder verlassen und jetzt große Schwierigkeiten, wieder reinzukommen. Außerdem hatten alle vor mir in der Schlange extra aufwendig gedruckte Eintrittskarten. Die hatte man angeblich irgendwo abholen sollen. Ich war zwar ordentlich akkreditiert und für die Eröffnungsfeier angemeldet, aber Eintrittskarten? Werwaswarum, wieso sagt mir sowas keiner? Aber dann genügte doch auch hier ein kurzer Blick auf meine Pressekarte. Es hat schon was für sich, von der schreibenden Zunft zu sein... Im Saal wurde dann noch ein weiterer Sicherheitshinweis durchgesagt: Wir sollten uns möglichst weit nach vorne setzen. Denn diejenigen, die zu spät kommen, sollten keinen Grund haben, sich zu freien Plätzen vorne - und damit in Richtung Bühne - durchzudrängeln. Sowas führt leicht zu Mißverständnissen.

Ehrengaeste
Die Ehrengäste (Bild: Frankfurter Buchmesse/Baptista)
Ein kurzer Blick auf die Liste der Redner lies den Sicherheitsaufwand dann aber schnell weniger lächerlich erscheinen, als es bisher vielleicht geklungen hat. Neben den "üblichen Verdächtigen" wie Buchmessen-Direktor Jürgen Boos, Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder, Oberbürgermeisterin Petra Roth und Hessens Innenminister Volker Bouffier waren nämlich auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der türkische Staatspräsident Abdullah Gül mit seiner Frau und Nobelpreisträger Orhan Pamuk anwesend. Nicht zuletzt Pamuk hat zur Zeit allen Grund, vorsichtig zu sein. Erst kurz vor der Buchmesse war bekannt geworden, dass eine Gruppe von Ultranationalisten - darunter auch ehemalige Generäle - ein Attentat auf den Schriftsteller geplant hatten. Die Pläne der Gruppe, die auch mit einem Staatsstreich die Macht in der Türkei übernehmen wollten, konnten noch rechtzeitig aufgedeckt und vereitelt werden.

In den Reden war davon aber nichts zu spüren. Die Beteiligten von Boos bis Bouvier freuten sich durchweg über 60 Jahre Buchmesse und hoben die Bedeutung des Branchentreffens für die Branche, die Stadt und das Bundesland hervor. Außenminister Steinmeier konzentrierte sich in seiner Rede auf unsere Werte und Haltungen, auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diese Werte könnten durch die aktuellen Ereignisse in Finanzwelt und Wirtschaft erschüttert werden, in Deutschland, aber auch in der Türkei. Literatur könne uns lehren, von den eigenen Gegebenheiten zu abstrahieren und sich in andere Gegebenheiten hinein zu denken. "Sie kann uns den Weg zum Eigenen im vorgeblich Fremden und umgekehrt zeigen", meinte Steinmeier.

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Orhan Pamuk (Bild: Frankfurter Buchmesse/ddp/Silz)
Orhan Pamuk erinnerte sich an seinen ersten Besuch der Frankfurter Buchmesse vor achtzehn Jahren. Damals war der junge Autor von der gigantischen Veranstaltung sehr beeindruckt und fragte sich, wie er in dieser Masse als einzelner kleiner Autor überhaupt eine hörbare Stimme finden sollte. Damals war noch der allgemeine Tenor, niemand würde einen türkischen Roman in eine andere Sprache übersetzen. Und wenn doch, würde sich niemand im anderen Land für das Buch interessieren. Seine türkischen Landsleute hätten sich geradezu daran gewöhnt, nicht verstanden zu werden: "Wir Türken haben uns in den letzten hundert Jahren so missverstanden gefühlt, dass wir aus dieser Einstellung geradezu einen Teil unseres Selbstverständnisse beziehen. Von anderen nicht anerkannt zu werden, ist für die meisten von uns geradezu ein Beweis für die Originalität und die Substanz unserer Kultur und Literatur." Aber, so warnte Pamuk, daraus könne sich durchaus die Vorstellung ableiten, die vom Westen entwickelten Ideale von Demokratie und Meinungsfreiheit seien der Türkei von Natur aus fremd und mit ihrer Lebensart nicht zu vereinbaren. Das könnte nicht nur der Türkei passieren. Außerdem wandte sich der Nobelpreisträger gegen die offizielle Zensur und den berüchtigten Paragraphen 301 des türkischen Strafgesetzbuchs. Den führten konservative Kreise häufig ins Feld, um gegen mißliebige Journalisten, Schriftsteller und Intellektuelle wegen angeblicher "Beleidigung des Türkentums" vorzugehen.

Staatspräsident Gül wies auf die Fortschritte hin, die Kultur und Literatur in der Türkei und der ganzen Welt in den letzten sechzig Jahren gemacht haben. Zwar habe es auch Rückschritte gegeben, aber insgesamt werde Schriftstellern mehr Achtung entgegengebracht, und sie würden mehr geehrt. Die türkische Kultur sei schon immer offen gewesen für Vielfalt und Pluralismus. Die Bedeutung, die Kunst und Literatur zuteil wird, halte auch im Modernisierungsprozess der Türkei an. Deshalb sei der Auftritt der Türkei auf der Frankfurter Buchmesse von großer Bedeutung.

Am Ende der Feier tauchten die Sicherheitsmaßnahmen dann doch wieder im Bewußtsein auf: Das Publikum wurde aufgefordert sitzen zu bleiben, bis die Ehrengäste den Saal verlassen hatten.

Daten dieses Berichts
Bericht vom: 14.10.2008 - 23:06
Kategorie: Tagebuch
Autor dieses Berichts: Henning Kockerbeck
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