Inseln im Netz
Story:
Wir schreiben das Jahr 2020. Nachdem das atomare Wettrüsten durch die Wiener Konvention beendet wurde, haben die Nationalstaaten viel von ihrer Bedeutung und ihrem Einfluß verloren. Die wirkliche Macht haben die Wiener Behörden und die großen, multinationalen Konzerne. Einer dieser Konzerne, Rizome Industries, versucht sich mit Datenpiraten zu arrangieren. Die Piraten haben sich in Steueroasen wie Grenada, Luxemburg und Singapur eingenistet und stehlen alles, was durch das weltweite Datennetz geht. Firmengeheimnisse, persönliche Daten, Raubkopien - alles wird an den Meistbietenden verkauft. Als ersten, vertrauensbildenden Schritt stellt Rizome eines ihrer Ferienheime für eine Konferenz der verfeindeten Piratengruppen zur Verfügung. Laura Webster, die mit ihrem Mann das Ferienheim leitet, möchte die Datenpiraten lieber heute als morgen wieder loswerden. Wie recht sie damit hat, zeigt sich, als der Leiter der gredadinischen Delegation mit einer ferngesteuerten Waffe ermordet wird. Laura wird in eine Auseinandersetzung hineingezogen, in der nicht immer klar ist, wer welche Absichten verfolgt und wer die "Guten" oder die "Bösen" sind. Dabei geraten nicht nur Laura, ihr Mann David und ihre kleine Tochter in Lebensgefahr, sondern der Ausgang der verborgenen Kämpfe könnte die ganze Welt in Aufruhr bringen.
Meinung:
Neben William Gibson und Neal Stephenson ist Bruce Sterling einer der berühmtesten Cyberpunk-Autoren. "Inseln im Netz" zeigt fast exemplarisch, warum das so ist: Sterling hat ein unübertroffenes Talent für Beschreibungen. Wenn er Gebäude, Industrieanlagen, Städte, aber auch Situationen und die Reaktionen von Menschen schildert, zeigt sich eine bildreiche, punktgenaue und beeindruckende Sprache.
Was dabei leider zu kurz kommt, ist die Geschichte. Im Lauf des Buches tritt der Plot immer mehr in den Hintergrund und es fällt immer schwerer, neben Lauras Erlebnissen und Abenteuern das "große Ganze" im Blick zu behalten. Auch die Figuren bleiben, abgesehen von der Hauptfigur Laura Webster, auffallend blaß und austauschbar. Und teilweise ufern Sterlings Beschreibungs-Orgien so aus, daß es trotz seiner Fähigkeiten auf diesem Gebiet beinahe langweilig wird. Bestes Beispiel ist der erste Teil von Lauras Aufenthalt in Grenada. Wenn der Leser sich nicht wie Lauras Mann David für ausführliche Beschreibungen von Industrieanlagen und anderer Infrastruktur begeistern kann, wird er sogar in Versuchung geraten, "Inseln im Netz" beiseite zu legen.
Das wäre allerdings schade, denn je weiter Laura in die Auseinandersetzungen zwischen den Datenpiraten (und nicht nur ihnen) hineingerät, desto fesselnder und auch actionreicher wird das Buch. Und viele von Sterlings Ideen waren seinerzeit (das englische Original erschien erstmals 1988) geradezu visionär. Ein Jahr vor Tim Berner-Lees ersten Gehversuchen mit dem, was später das WWW werden sollte, beschreibt Bruce Sterling ein weltweites Datennetz, das den klassischen Medien längst den Rang abgelaufen hat. In anderen Aspekten hat die Welt die Geschichte mittlerweile überholt, beispielsweise durch den Fall des Eisernen Vorhangs.
Die deutsche Ausgabe von "Inseln im Netz" ist derzeit vergriffen, aber antiquarisch bei den üblichen Quellen noch gut erhältlich.
Fazit:
Hätte Bruce Sterling dem Plot und seinen Figuren das gleiche Maß an Aufmerksamkeit, Mühe und Raum gewidmet wie den hervorragenden Beschreibungen von Gebäuden, Anlagen oder Situationen, hätte "Inseln im Netz" ein großes Buch werden können. So ist jedoch leider nur guter Durchschnitt herausgekommen.
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Bruce Sterling
Inseln im Netz
Islands in the Net
Übersetzer: Walter Brumm
Erscheinungsjahr: 2002
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Heyne Verlag
Preis: € 10,95
ISBN: 3-453-19664-3
574 Seiten
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