Die Verlassenen
Story:
Die Apokalypse hat stattgefunden. Millionen von Menschen sind auf einmal verschwunden, ohne Erklärung oder ein Zeichen. Wie geht das Leben derer weiter, die auf diese Weise Freunde, Bekannte und Familienmitglieder verloren haben?
Meinung:
Jede Art von Religion kennt ein Endszenario, in der das Leben, wie man es kennt, beendet wird. Häufig dreht es sich dabei um den finalen Kampf zwischen Gut und Böse. Tom Perrotta nimmt sich jetzt dieses Konzepts an und interpretiert es mit "Die Verlassenen" auf eine eigene Art und Weise. Es handelt sich übrigens um den zweiten Roman des US-Amerikaners, der hierzulande erscheint. Sein Deutschland-Debüt hat er 2006 mit "Little Children" gefeiert.
Der Autor wurde 1961 in Newark, New Jersey, USA, geboren. Seine Eltern waren beide italienische Immigranten. Und während sein Vater arbeiten ging, war seine Mutter Hausfrau und erzog die Kinder. Schon von frühsten Kindheitsbeinen an wusste Tom Perrotta, dass er Autor werden wollte. Und so schrieb er bereits auf der High School Kurzgeschichten. Er machte seinen Bachelor in Anglistik an der Yale Universität und seinen Master in Anglistik und Kreatives Schreiben an der Syracuse University. Von 1997 an fing er mit dem Schreiben von Romanen an. Seine Romane Election und Little Childred wurden verfilmt und er war am Drehbuch für letztere Adaption beteiligt. Dafür hat er auch den Oskar für das Beste Adaptierte Drehbuch erhalten. Sein Buch "Die Verlassenen" dient übrigens als Vorlage für die TV-Serie "The Leftovers" die seit 2014 auf dem Pay TV-Sender Sky Atlantic HD ausgestrahlt wird.
Die Erde hat sich verändert. Von einem Tag auf den anderen sind Millionen von Menschen ohne eine Spur verschwunden. Die Welt hat sich verändert und die Zurückgelassenen müssen irgendwie mit dem Verlust klar kommen. Einige machen weiter wie gehabt, andere hingegen schließen sich Sekten an.
Auch die Familie Garvey ist von den Ereignissen betroffen. Und jeder reagiert auf seine eigene Art und Weise. Patriarch Kevin ist Bürgermeister und fängt eine Affäre an. Seine Frau Laurie schließt sich der religiösen Gemeinschaft des "Schuldigen Rests" an. Ihre Tochter Jill weiß nicht, was sie machen soll. Und der Sohn Tom hat sich einer Sekte angeschlossen.
Über die Apokalypse zu schreiben ist schwierig. Denn viele Autoren würden dieses Ereignis nur dazu nutzen, um ihre eigene Religion in den Vordergrund zu schieben oder sich auf den Endkampf zwischen Gut und Böse zu konzentrieren. Tom Perrotta geht hingegen seinen eigenen Weg. Bei ihm hat die Apokalypse bereits stattgefunden und das Leben geht weiter, da ein Großteil der Menschheit noch weiterhin existiert.
Und damit ist auch klar, was "Die Verlassenen" ausmacht. Es ist kein Actionbuch, sondern vielmehr eine Charakterstudie. Im Vordergrund stehen die Persönlichkeit derjenigen, die zurückgeblieben sind. Und dank der Familie Garvey kann man perfekt die Gemüter dieser Leute nachvollziehen.
Jedes Familienmitglied reagiert unterschiedlich. Bei den einen ist es offensichtlich, dass sie nicht wissen, wie sie weitermachen können. Die anderen hingegen geben sich dem Anschein der Normalität hin, auch wenn dies im Grunde nicht mehr möglich ist. Und wiederrum andere suchen Trost und Erklärungen in den Armen von Sekten oder anderen religiösen Organisationen.
Es wird damit klar, dass ein "Weiter so" eben nicht möglich ist. Zu sehr hat das Verschwinden der Anderen das Leben der "Verlassenen" beeinträchtigt.
Perrottas Figuren sind dabei keine Helden. Jeder von ihnen begeht Fehler, für die man sie vor der Apokalypse sicherlich verurteilt hätte. Dass eine Mutter die Familie einfach so verlässt, oder der Sohn Teil eines Komplotts wird, ein Verbrechen zu vertuschen, sind alles Aspekte, die schlimm sind. Und doch, angesichts der Umstände, nachvollziehbar sind, so brutal das auch klingen mag. Denn durch diese Fehler der Protagonisten wird deutlich, wie sehr ihnen die Stabilität im Leben abhandengekommen ist. Es sind verzweifelte Versuche, einen Ersatz zu finden, egal wie dieser auch aussehen mag.
Das Ende des Romans mag für viele Leser kontrovers sein. Doch wenn man das genau bedenkt, passt es zu der Aussagekraft des Bandes. Denn egal, was auch passiert, das Leben geht weiter. Und so ist das Finale einfach passend zu dieser Aussage.
"Die Verlassenen" ist ein erstklassiges Buch, mit einer hervorragenden Charakterarbeit. Deshalb erhält es auch die "Klassiker"-Wertung mit dem "Splashhit".
Fazit:
Mit "Die Verlassenen" schreibt Tom Perrotta ein beeindruckendes Werk. Anstatt sich auf die Apokalypse selbst zu konzentrieren, stehen bei ihm die Figuren im Mittelpunkt des Geschehens. Geschickt stellt er die verschiedenen Persönlichkeiten dar und wie sie mit den Auswirkungen des Verschwindens umgehen. Dabei sind sie keine Helden, sondern begehen Fehler, für die man sie vorher verurteilt hätte. Doch jetzt, nach dem Ereignis, wird deutlich, wie sehr die Protagonisten die Stabilität im Leben verloren haben. Auch das Ende ist passend, da dadurch verdeutlicht wird, dass das Leben weiter geht.
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