Sir John und Bruder Athelstan 02: Das Haus des roten Schlächters
Story:
London erstarrt im eisigen Winter. Aber das Böse macht keine Pause, und Sir John Cranston und Bruder Athelstan müssen einen geheimnisvollen Mord aufklären. Dem Kommandant des Tower von London, Sir Ralph Whitton, wird die Kehle durchgeschnitten, obwohl er sich hinter gleich zwei verschlossenen Türen in Sicherheit wähnte. Wie hat der Mörder seine Tat begehen können? Und wo liegt das Motiv? Hat die "Große Gemeinde", eine Organisation rebellierender Bauern, an dem Amtsträger des Regenten ein Exempel statuiert? Hat der nicht gerade sympathische Whitton sich in seinem Privatleben Feinde gemacht? Oder reichen die Gründe für die Tat zurück in Sir Ralphs Vergangenheit als Söldner im Heiligen Land? Sir John und Bruder Athelstan müssen den Fall schnell aufklären, denn schon werden weitere Morde angekündigt.
Meinung:
Da friert selbst der Kot in der Gosse, aber der rote Schlächter geht trotzdem um. Paul Harding, hinter dem sich der bekannte Autor Paul C. Doherty verbirgt, schont auch im zweiten Band der Reihe um Sir John und Bruder Athelstan weder seine Figuren noch seine Leser. Da wird gerülpst und gefurzt, da werden die vollen Nachttöpfe einfach auf die Straße geleert. Da werden die kleineren Übeltäter in den Pranger geschlossen, und weil es so kalt ist wie lange nicht mehr, können sie dort auch schon mal über Nacht erfrieren.
Wer als Leser solche Dinge aushält, bekommt einen guten historischen Krimi geboten. Harding schafft scheinbar mühelos eine Atmosphäre, in der man sich sofort in die Charaktere hineinfühlen kann. Das gilt insbesondere für Athelstan, aus dessen Sicht der größte Teil der Geschichte erzählt wird. Aber auch Coroner Cranston und andere werden gut nachvollziehbar präsentiert. Selbst die psychologische Entwicklung des späteren Mörders ist, angesichts seiner Erlebnisse, verständlich.
Der Kriminalfall als solcher ist gut konstruiert und die Auflösung logisch. Das Motiv des Mords im verschlossenen Raum, diesmal sogar hinter zwei abgeschlossenen Türen, mag nicht neu sein, es wird jedoch gut umgesetzt. Auch bei den weiteren Morden erweist sich der Täter, so viel sei verraten, als gerissen und bietet dem Leser etwas für sein Geld. Interessanterweise hat sich ein Aspekt im Vergleich zum vorherigen Abenteuer umgekehrt: Wussten die Protagonisten bei der "Galerie der Nachtigallen" ab einem bestimmten Punkt noch mehr als die Leser, sind hier die Leser im Vorteil, weil sie gleich zu Beginn einen Teil der Vorgeschichte erfahren. Trotzdem bleibt die Geschichte spannend, nicht zuletzt gerade weil Sir John und Bruder Athelstan erst nach längerer Zeit herausfinden, wo die Motive für die Verbrechen eigentlich wurzeln.
Gut gelungen ist auch die Verankerung in die restliche Geschichte. Beide Ermittler haben, auf unterschiedliche Weise, Probleme mit "ihren Frauen". Sir Johns Ehefrau benimmt sich merkwürdig, und der Coroner macht sich Gedanken, dass sie ihn vielleicht verlassen will. Und Bruder Athelstan muss mit den Anfechtungen fertig werden, die der Anblick der hübschen Benedikta an sein Zölibatsgelübde stellt. Wie aus anderen Romanserien bekannt, beginnt sich langsam ein sozialer Mikrokosmos um die Hauptfiguren zu entwickeln, zu dem der Leser in jedem Band gerne zurückkehrt. Athelstans (vermeintlicher?) Rivale um Benediktas Gunst ist aus heutiger Sicht übrigens längst nicht so ein Schurke, wie es den damaligen Zeitgenossen erscheinen musste.
Die Einbettung in die reale Historie ist weniger dicht ausgefallen als im ersten Band. Zwar ist der Mord am Konstabler des Towers natürlich politisch hochbrisant, insbesondere wenn es möglicherweise ein Attentat einer Rebellenorganisation gewesen sein kann. Aber weder der Regent noch der jugendliche König oder anderen "hohe Herren" treten persönlich auf und die Handlung konzentriert sich vor allem auf den Tower. Grobe Schnitzer fallen dem interessierten Laien nicht auf, auch die deutsche Umsetzung scheint diesmal konzentrierter gewesen zu sein. Ärgerliche Fehler wie 1337 statt 1377 fallen nicht mehr ins Auge.
Der Roman ist deutlich eine Folge in einer Reihe: Es gibt ein Vorher, auf das ohne nähere Erläuterungen Bezug genommen wird, und es gibt Andeutungen, was folgen könnte. Allerdings ist der Band auch ohne Kenntnis des ersten Teils gut lesbar, auch wenn – nicht nur bei den Abenteuern von Sir John und Bruder Athelstan – das Einhalten der Reihenfolge grundsätzlich zu empfehlen ist. Denn es bringt oft zusätzliche Freude, wenn man die Entwicklung der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander über die Geschichten hinweg verfolgen kann.
Wie viele historische Krimis in den 1990ern hat Knaur auch "Das Haus des roten Schlächters" neben anderen Ausgaben im kitschigen rot-blau-goldenen Coverdesign herausgebracht. Davon sollten sich Interessierte nicht abschrecken lassen, Kitsch müsste man in diesem Roman mit der Lupe suchen. Der Titel bezieht sich übrigens auf den Tower selbst, war der doch über Jahrhunderte nicht nur Festung, sondern auch Gefängnis und Hinrichtungsstätte. Deshalb bezeichnete der Volksmund ihn unter anderem als "Haus des roten Schlächters".
Fazit:
Ein gelungener historischer Roman, in dem der Autor seine Figuren dem Leser schnell nahebringt. Der soziale Mikrokosmos um die Hauptfiguren, der Wiedersehensfreude in den weiteren Bänden verspricht, wird weiter ausgebaut. Und diesmal ist offenbar mehr Konzentration in die deutsche Umsetzung geflossen.
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Paul Harding
Sir John und Bruder Athelstan 02: Das Haus des roten Schlächters
The House of the Red Slayer
Übersetzer: Rainer Schmidt
Erscheinungsjahr: 1995
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Knaur
ISBN: 3-426-63021-4
284 Seiten
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