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Das Mädchen und der Krieg
Seit 20 Jahren tobt in Afrika ein Krieg, der selten in den Fernsehnachrichten oder auf der Titelseite der Zeitungen erwähnt wird. Im Norden Ugandas kämpft die "Lord's Resistance Army" (LRA) unter Joseph Kony gegen die Regierung von Präsident Yoweri Museveni. Dabei benutzen sie eine besonders feige und grausame Taktik: Sie zwingen Kinder, für sie zu kämpfen. Schätzungen zufolge wurden in den vergangenen zwölf Jahren etwa 35.000 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren entführt und als Kindersoldaten mißbraucht. Eine davon ist Christine, die sich später von ihren Peinigern befreien konnte. Über ihre Zeit als Kindersoldatin und Sexsklavin eines Kommandeurs der LRA, über ihre Flucht, ihre Rückkehr in die Gesellschaft und ihren Einsatz für die Versöhnung im zerissenen Uganda hat sie mit dem Autoren Sönke C. Weiss gesprochen. Weiss hat die Geschichte aufgeschrieben, die im Brendow Verlag unter dem Titel "Das Mädchen und der Krieg" erschienen ist.

Auf der Frankfurter Buchmesse stellte sich Christine, die im Buch "Hope" genannt wird, zusammen mit Sönke Weiss ein weiteres Mal ihren Erinnerungen. Die Geschichte, die sie dabei erzählte, ist eigentlich unfaßbar.

Joseph Kony, der Anführer der LRA, will in Uganda einen Gottesstaat errichten. Er hält sich für ein Medium, einen Befreier und "Gebieter", seine genauen religiösen Vorstellungen sind jedoch eher schwammig. Da die Bevölkerung ihn in seinem Kampf gegen die Regierung nicht mehr unterstützt, holt er sich seine Kämpfer auf brutalste Weise: Kinder werden von der Straße, von den Feldern ihrer Eltern entführt. Dabei müssen sie sofort selbst Gräultaten begehen, etwa ihre Eltern zusammenschlagen oder töten. Dadurch werden die Kinder selbst zu Tätern und können kaum noch in ihre alte Dorfgemeinschaft zurückkehren. Die Mädchen werden den Kommandeuren als Sexsklavinnen "zugeteilt", von denen sie dann vergewaltigt und nicht selten geschwängert werden. Später werden die Kinder gezwungen, ihrerseits neue Opfer zu entführen. Wer sich weigert, wird selbst zusammengeschlagen oder ermordet.

Christine wurde im Alter von 12 Jahren zusammen mit ihrem Bruder entführt. Dabei mußte sie so lange auf ihren Vater eintreten, bis die Entführer glaubten er sei tot. Christines Vater überlebte schwer verletzt und ist heute halbseitig gelähmt. Als das Mädchen von dem ihm zugewiesenen Kommandeur schwanger wurde, war sie für die LRA nutzlos. Nur ihre Stellung als "Frau" eines hochrangigen Kämpfers verhinderte, daß sie einfach getötet wurde. In einer Station der Hilfsorganisation World Vision brachte sie ihre Tochter zur Welt. Christine schaffte es nicht nur, als alleinerziehende Mutter ihr Abitur zu machen - sie möchte eine Ausbildung zur Krankenpflegerin machen und danach Medizin studieren -, sie hat auch eine Theatergruppe gegründet. Damit möchten sie und andere ehemalige Kindersoldatinnen dazu beitragen, daß Uganda Frieden findet.

Der Bürgerkrieg hat dazu geführt, daß 90 Prozent der 2 Millionen Einwohner Ugandas auf der Flucht sind. Sie leben in Flüchtlingscamps internationaler Hilfsorganisationen. Ein eigentlich reiches und fruchtbares Land steht am Rand einer Hungersnot. Denn die Felder können nur noch unter bewaffnetem Schutz der Regierungstruppen bestellt werden, aus Angst vor Angriffen der LRA.

Über lange Jahre wurde die LRA von südlichen Nachbarn Sudan unterstützt. Mit ein Grund dafür war schlichte Rache: Zuvor hatte Uganda eine christliche Minderheit im Südsudan bei ihrem Aufstand gegen die arabisch-islamische Mehrheit unterstützt. Christine meint, daß Sudan die Unterstützung für Joseph Kony und seine Männer inzwischen eingestellt hat, aber die LRA verfügt offenkundig noch über ausreichende Waffenvorräte.

Die Kommandeure der Rebellen weigern sich, ein langes verhandeltes Friedensabkommen zu unterzeichnen. Einen Teil der Schuld daran trägt die internationale Gemeinschaft. Denn der 2002 gegründete Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC) hat als erste Angeklagte Joseph Kony und vier weitere hochrangige LRA-Führer angeklagt. Anstelle eines zuerst angedachten Amnestie-Abkommens im Rahmen des Friedensschlusses müssen die fünf Männer also einen Prozess fürchten und setzen deshalb ihren Kampf fort. Der ICC hat aber keine Befugnisse in Uganda und kann die Angeklagten nicht selbst festsetzen. Das wäre Sache der ugandischen Regierung, die daran jedoch in den letzten zwanzig Jahren gescheitert ist. Präsident Yoweri Museveni betrachtet den Bürgerkrieg außerdem als innere Angelegenheit seines Landes. Würde er Hilfe von außen annehmen, ließe ihn das vor seinen Feinden und Rivalen als schwach erscheinen. Auch die internationalen Hilfsorganisationen sind nur so lange geduldet, wie sie neutral und politisch "still" sind.

Christine möchte mit ihrer Theatergruppe zur Versöhnung in Uganda beitragen. Denn wenn Kindersoldaten tatsächlich fliehen können, werden sie oft in ihren Heimatdörfern nicht freundlich aufgenommen. Das, was sie tun mußten, macht sie in den Augen der anderen zu Feinden und Terroristen. Christine und andere ehemalige Kindersoldatinnen stellen in ihrem Stück dar, was ihnen passiert ist und wie es dazu kam, daß sie selbst zu Tätern wurden. Sie wollen Versöhnung erbitten und gewähren.

Wie Christine erzählt, fällt es nicht leicht, das zu vergeben was ihr und den anderen angetan wurde. Um vergeben zu können, muß man wissen, woher die Schuld kam und wie sie entstanden ist. Auch die Kinder, die Christine und ihren Bruder verschleppten, waren zuvor entführt und mißbraucht worden. Um endlich Frieden in Uganda zu erreichen, muß das Täter-Opfer-Schema überwunden werden. Ihre Erlebnisse haben Christines Glauben an Gott natürlich erschüttert, aber nicht ganz zerstört. Sie ist aber der Meinung, daß Gott nur denen helfen kann, die selbst etwas tun. Wer sich tagelang in seinem Zimmer einschließt und zu Gott um Hilfe betet, den kann Gott nicht erreichen.

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Bericht vom: 05.10.2006 - 23:08
Kategorie: Tagebuch
Autor dieses Berichts: Henning Kockerbeck
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