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Die Geschichte hinter Catch 22

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Cover der US-Erstausgabe
Bei so manchem großen Buch mussten viele Zufälle zusammenkommen, damit das Werk das Licht der Öffentlichkeit erblicken konnte. Das ist bei Catch 22 nicht anders, und die Geschichte hinter dem Buch könnte eigentlich selbst Stoff für einen Roman sein. 

Als Joseph Heller seine ersten Entwürfe Literaturagenten und Verlagen anbot, wollten viele nichts von dem Buch wissen. Einige waren von der Art und Weise, wie das amerikanische Militär in der Geschichte dargestellt wurde, regelrecht angewidert. Schließlich war der Zweite Weltkrieg noch nicht so lange vorbei, und der Kalte Krieg stand kurz vor seinem Höhepunkt. Von der Veröffentlichung einiger Kurzgeschichten her hatte Heller noch Kontakt zur Redakteurin und Agentin Elizabeth McKee. Die hatte sich inzwischen mit einer eigenen Literaturagentur selbständig gemacht. Eine von McKees Angestellten war Candida Donadio. Eigentlich war sie mehr als "Mädchen für alles" angeheuert worden, und die Agenten waren von Hellers Arbeit wenig beeindruckt. Donadio war dafür um so mehr begeistert, und sie begann das Manuskript an alle zu verschicken, die vielleicht Interesse haben könnten. Bei Arabel Porter von der zweimal jährlich erscheinenden Anthologieserie  New World Writing traf sie damit genau ins Schwarze. Porter fand das eine Kapitel, das zu dieser Zeit geschrieben war, "vollständig wunderbar, wirklich genial" und kaufte die Geschichte ein. Nicht nur Catch 22 (oder Catch 18, wie die Geschichte zu diesem Zeitpunkt noch hieß) sollte enorm von Candida Donadios Arbeit profitieren, die Agentin selbst wurde zu einer der ganz Großen ihrer Zunft. Unter ihren späteren Klienten finden sich Namen wie Philip Roth, Michael Gaddis oder Thomas Pynchon. Ein Kollege nannte sie einmal die Literaturagentin ihrer Generation.

Aber damit später der Roman, wie wir ihn heute kennen, veröffentlicht werden konnte, mussten noch zwei weitere Personen das Quartett mit Heller und Donadio komplettieren. Dabei handelte es sich um Robert Gottlieb und Nina Bourne vom Verlag Simon & Schuster. Als Donadio 1957 das etwa 57 Seiten umfassende Manuskript an Gottlieb schickte, war gerade der Cheflektor des Verlages, Jack Goodmann gestorben. Gründer Dick Simon musste sich etwa ein halbes Jahr später aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen. Als Jonathan R. Eller später die Publikationsgeschichte von Catch 22 nachvollzog, stellte er fest, dass Mitte der 1950er Jahre sechs hochrangige Mitarbeiter im Lektorat von Simon & Schuster starben oder die Firma verließen. Zurück blieben im Wesentlichen nur der damals gerade 26 Jahre alte Gottlieb sowie Bourne, die sich um das Marketing kümmerte. Diese beiden hatten also großen Einfluss darauf, was der Verlag veröffentlichen würde. Auf das inzwischen 259 Seiten umfassende Manuskript, das Heller bis Februar 1958 ausgearbeitet hatte, reagierte Gottlieb enthusiastisch: "Ich liebe dieses verrückte Buch und ich möchte es sehr, sehr gerne herausbringen", war seine Antwort.

Robert Gottlieb war, wie viele die dabei mithalfen Catch 22 auf den Weg zu bringen, ein sehr eigenwilliger Charakter. Als er sich bei Simon & Schuster vorstellte, wunderte sich sein Gesprächspartner, ob der Stellungssuchende sich denn keinen Kamm leisten könne. Als Gottlieb nach einem langen Gespräch gebeten wurde aufzuschreiben, warum er in der Buchbranche arbeiten möchte, explodierte er regelrecht seiner Ehefrau gegenüber. Eine solche Aufgabe habe man ihm zuletzt in der sechsten Klasse gegeben, als "Das war mein schönstes Ferienerlebnis". Seine Ausführungen bestanden im Wesentlichen aus einem Satz: "Der Grund, warum ich in der Buchbranche arbeiten möchte, ist, weil mir nie der Gedanke gekommen ist, dass ich irgendwo anders arbeiten könnte."

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Zunächst erschien der Roman hierzu-
lande noch unter einem anderen Titel
Aber auch Gottlieb konnte nicht alleine entscheiden, dass Catch 22 bei Simon & Schuster erscheinen sollte. Er musste das Buch in einer skeptischen Redaktionskonferenz durchboxen. Dort pries er das Buch an als eine Veröffentlichung, die vielleicht nicht die großen Umsätze, aber einen Imagegewinn für den Verlag bringen würde. Heller bekam den damaligen Standardvertrag, 750 Dollar sofort, weitere 750 Dollar bei Abgabe des fertigen Manuskripts. Eigentlich hätte der Roman bereits 1960 erscheinen sollen, aber Heller arbeitete sehr langsam. Als Gottlieb das Manuskript das nächste Mal sah, hatte sich der Umfang verdoppelt. Die bisherige Geschichte war von 7 auf 16 Kapitel ausgebaut worden, und Heller hatte einen ganz neuen Abschnitt mit 28 weiteren Kapiteln eingefügt. Zeitweise jonglierte der Autor mit neun unterschiedlichen Versionen, übertrug hier einen Abschnitt von einer Fassung in eine andere, ließ dort Raum auf den hand- oder maschinenbeschriebenen Blättern für spätere Einfügungen. Mit der Zeit bekam Catch 22 bei Simon & Schuster einen regelrechten Legendenstatus. Niemand außer Gottlieb und seinen direkten Mitarbeitern hatte das Manuskript gelesen, und die Besuche von Candida Donadio, die schon mal mit einer sizilianischen Erdmutter verglichen wurde, trugen ein übriges bei.

Eines Tages erwartete das Projekt ein herber Rückschlag: Der bisherige Titel Catch 18 musste weg. Leon Uris würde bald seinen Roman "Mila 18" über die Okkupation Polens durch die Nazis herausbringen. Zwei Romane mit "18" im Titel würden sich in die Quere kommen, und Heller als Neuling würde dabei sicher den Kürzeren ziehen. Also brauchte man eine neue Nummer. Eine Zeitlang war die 11 im Gespräch, was aber mit dem Sinatra-Film "Oceans Eleven" kollidiert wäre. Ende Januar 1961 schickte Heller eine Nachricht an Gottlieb, das Buch würde jetzt "Catch 14" heißen. Aber die Argumente des Autoren überzeugten seinen Lektor nicht. Eines Nachts, als Gottlieb im Bett lag, kam ihm die Erleuchtung: Die 22 muss es sein. "Ich habe die perfekte Nummer", rief er am nächsten Morgen bei Joseph Heller an, "Zweiundzwanzig, die ist lustiger als Achtzehn". Heller war sofort begeistert.

Inzwischen begann die Marketingmaschine anzulaufen, und Nina Bourne nahm sich des Buches an. Sie beschrieb ihr Verhältnis zu Catch 22 einmal als das einer verrückten Amme, die sich für die Mutter des Babys hält. Gemeinsam mit Gottlieb schickte Bourne Vorabkopien an berühmte Autoren wie Graham Greene, Irwin Shaw, S. J. Perelman, Evelyn Waugh oder Art Buchwald, in der Hoffnung auf ein lobendes Wort über Hellers Buch. Nicht immer ging diese Rechnung auf; Evelyn Waugh beispielsweise antwortete, es tue ihm leid, dass dieser Roman Nina Bourne so fasziniere. Denn viele Passagen seien keine Lektüre für eine Lady. Man könnte ihn zitieren mit "Diese Zurschaustellung von Korruption, Feigheit und Grobheit amerikanischer Offiziere wird alle Freunde ihres Landes (wie mich selbst) empören und seine Feinde sehr ermutigen". Ganz anders die Reaktion von Art Buchwald, der ein Telegramm schickte: "Bitte Joseph Heller zu Meisterwerk gratulieren STOP Ich denke, es ist eines der größten Kriegsbücher STOP Das denken auch Irwin Shaw und James Jones".

Als Joseph Heller die ersten gedruckten Exemplare tatsächlich in den Händen hielt, war er geradezu exstatisch. Im Herbst 1961 verbrachten Heller und seine Frau Shirley viele Abende in Buchläden, wo sie Catch 22 heimlich nach vorne, auf die Plätze räumten, wo die Bände potentiellen Käufern eher ins Auge fallen würden. Die ersten Besprechungen waren gemischt, manche begeistert, manche eher negativ. Aber der Erfolg gab Heller, Donadio, Gottlieb und Bourne recht. Die erste Auflage war innerhalb von zehn Tagen ausverkauft, die zweite und dritte Auflage wurde noch vor Weihnachten angeleiert. Die Taschenbuchrechte für den Roman, in dem selbst sein Verfechter Gottlieb nur wenig kommerzielles Potential gesehen hatte, gingen für 32.500 Dollar an Dell. Schnell war das Buch Stadtgespräch und Joseph Heller begehrter Gast auf jeder Party. Der Rest ist, um eine etwas abgegriffene Formulierung zu verwenden, Geschichte.



Special vom: 11.11.2011
Autor dieses Specials: Henning Kockerbeck
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