Phantasmen
Story:
Die Welt hat sich verändert, als eines Tages die Geister der Verstorbenen zurückkehrten. Ohne ersichtlichen Grund, dafür aber einem bestimmten Ablauf folgend, tauchten die leuchtenden Erscheinungen am Ort ihres Todes auf, bedeuteten jedoch keine Gefahr. So gewöhnten sich die Menschen an sie und lernten mit den Wiedergängern umzugehen.
Zu ihnen gehören auch Rain und ihre Schwester Emma, die auf dem Weg zu der Stelle sind, an der ihre Eltern vor drei Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Als die Geister schließlich auftauchen, bemerken sie nicht nur, dass es 12 zu wenig sind. Die Erscheinungen lächeln sogar, was in einem bestimmten Radius den Tod durch Herzversagen zur Folge hat.
Kurz darauf stößt der Norweger Tyler zu ihnen, der seine Freundin ebenfalls bei dem Flugzeugabsturz verloren hat und von einer Gruppe Söldner verfolgt wird. Ohne es verhindern zu können, stolpern Rain und Emma an seiner Seite mitten ins Chaos und stoßen auf die Hintergründe des vermeintlichen Flugzeugabsturzes: damals wurden 12 Menschen entführt, die eine Sache miteinander verband - Nahtoderfahrungen. Die mit ihnen durchgeführten Experimente enthüllen eine unschöne Wahrheit, die mehr mit dem Zustand der Welt zu tun hat, als es die drei erahnen können …
Meinung:
Kai Meyer zählt neben Wolfgang Holbein zu den bekanntesten deutschen Fantasyautoren unserer Zeit. Romanreihen wie die "Arkadien"-, "Wolkenvolk"- oder "Merle"-Trilogien haben Bestsellerstatus, sind auch außerhalb Deutschlands erschienen und begeistern die Fans. Mit "Phantasmen wagt er sich nun an ein gruseligens Jugendbuch.
Die Grundidee von "Phantasmen" ist gar nicht mal schlecht - Geister der Verstorbenen, die in regelmäßigen Abständen zurückkehren und das Leben der Menschen auf den Kopf stellen, neue Religionen, die sich bilden und die philosophisch angehauchten Hintergründe, was den Menschen nach dem Tod erwarten könnte. All das bildet eine spannende Basis, wird jedoch nicht gänzlich ausgeschöpft. Vielleicht waren 400 Seiten zu wenig, um der Geschichte mehr Tiefgang zu verleihen und die komplexen Hintergründe passend auszuarbeiten. Eine Trilogie wäre an dieser Stelle nicht verkehrt gewesen, denn Kai Meyer wirft etliche Fragen auf, beantwortet aber nur wenige. So werden zwar zum Ende hin Erklärungen für das Auftauchen der Geister gegeben, ebenso können die Charaktere das Dilemma lösen, in dem sich dich Welt befindet, doch er Leser bleibt ein wenig unbefriedigt zurück. Vieles bleibt im Dunkeln, etliche Dinge werden lediglich angeschnitten und nur am Rande gestreift.
Stattdessen geht es Schlag auf Schlag - eine Actionszene jagt die nächste, und jedes Mal wird es größer, gewaltiger und gefährlicher: Verfolgungsjagden, Smilewaves, Hubschrauberabstürze, Leichenberge. Sicherlich baut Kai Meyer auf diesem Weg Spannung auf und man kann das Buch nur schwer aus der Hand legen, doch irgendwie ist man am Ende genauso schlau wie vorher. Es ist einfach zu viel Action, zu viel aufgesetztes Drama (insbesondere Rains Afrikaphobie betreffend), zu viel mysteriöse Experimente. Man stumpft beim Lesen fast schon ab, was dafür sorgt, dass die Geschichte ohne Wirkung vorbeizieht. Wenigstens verzichtet Kai Meyer fast vollständig auf eine Liebesgeschichte und deutet die Sache zwischen Rain und Tyler nur am Rande an.
Auch die Charaktere können nur schwer überzeugen. Gerade Rain, aus deren Perspektive erzählt wird, bleibt blass und unnahbar. Sie ist dem Leser fremd, da man sich nicht mit ihr identifizieren kann. Dadurch kann man nicht einmal sagen, ob man Rain sympathisch findet oder nicht. Der Versuch, dem Mädchen durch ihre geheimnisvolle Vergangenheit in Afrika Tiefgang zu verleihen, scheitert ebenfalls. Als Leser hat man gänzlich andere Vorstellungen davon, was sie erlebt hat, als das was später als Ursache für ihre Phobie präsentiert wird.
Leider kann auch Tyler nur bedingt auftrumpfen. Er ist nur schwer nachvollziehbar, da er im Grunde nur seiner großen Liebe hinterherrennt, die aus dem Flugzeug entführt wurde. Dabei handelt er ohne Rücksicht auf Verluste und schert sich überhaupt nicht darum, dass um ihn herum die Apokalypse ausbricht und Millionen von Menschen sterben. Man hat das Gefühl, dass er einfach darüber hinweggeht und ihm der Tod von so vielen Leuten überhaupt nicht nahegeht.
Lediglich die leicht autistische Emma, die keine Gefühle empfinden kann und über einen immensen Wissensschatz verfügt, ist eine angenehme Abwechslung. Sie sorgt für ein wenig Schwung und treibt das kleine Trio mehr als einmal voran. Auch der Söldner Haven ist eine durchaus interessante Figur, der lebendiger und dynamischer wirkt, als die Protagonisten.
Stilistisch gibt es nichts zu bemängeln. Kai Meyer hat einen sehr soliden, sicheren Stil. Er versteht sein Handwerk, beschreibt sehr detailreich und bildhaft die Welt nach dem Auftauchen der Geister und überzeugt mit abwechslungsreichen Actionszenen. Man kann mit Leichtigkeit hundert Seiten am Stück lesen und sich in die gruseligeWelt von "Phantasmen" ziehen lassen.
Fazit:
Alles in allem bietet "Phantasmen" durchwachsene, fast sogar unausgegorene Kost, dessen Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft wurde. Die Geschichte wirkt zu überladen, es mangelt an Erklärungen und die blassen, farblosen Charaktere tragen ihre Teil dazu bei, dass man sich beim Lesen trotz actionreicher Handlung und kontinuierlichem Spanungsaufbau fast ein wenig gelangweilt fühlt. "Phantasmen" hinterlässt ein Gefühl, das man nicht genau benennen oder klassifizieren kann. Vielleicht bleiben einem die Charaktere zu fremd, um richtig in die Geschichte einzutauchen, oder die Auflösung wirkt zu sehr an den Haaren herbei gezogen - doch so recht kann der Roman nicht überzeugen.
Nichtsdestotrotz versteht Kai Meyer sein Schreibhandwerk, so dass es sich lohnt, nach weiteren Büchern des Autors Ausschau zu halten und seinen Fantasy-Büchern eine Chance zu geben.
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