Die Glasbläserin
Story:
Historische Romane gibt es seit einigen Jahren wie Sand am Meer. Umso erfreulicher ist es, wenn man hin und wieder auf einen Vertreter des Genres stößt, der sich positiv vom romantischen Heilewelt-Mittelalter-Kitsch abhebt.
Petra Durst-Benning lebt mit ihrer Familie als freie Autorin in der Nähe von Stuttgart und konnte mit "Die Zuckerbäckerin" schon einmal einen Erfolg mit einem historischen Roman und einer starken weiblichen Hauptfigur verbuchen. Darüber hinaus hat die gebürtige Baden-Würtenbergerin sich mit Sachbüchern einen Namen gemacht.
Die Geschichte der drei Steinmann-Schwestern gewährt dem Leser einen unglaublich lebendigen Einblick in die Zeit um 1840 und den Lebensstil der Handwerker zu dieser Zeit. Der Ort des Geschehens ist Lauscha, ein kleines Dorf im Thüringer Wald, das schon damals berühmt für mundgeblasene Glasgegenstände aller Art war. Gläser, verspiegelte Pokale, Schalen, Flakons, Glasaugen und nicht zuletzt auch Weihnachtsschmuck begaben sich von hier auf die weite Reise nach Nürnberg, Paris oder Hamburg. Die besonderen Arbeiten gelangten von dort mit den Ozeanriesen nach New York.
Natürlich handelt es sich nicht um ein Fachbuch der Glaskunst des 19 Jahrhunderts. Trotzdem entsteht vor den Augen des Lesers bei den ausführlichen Beschreibungen der zahlreichen komplexen Arbeitsgänge und den Blicken in die Werkstätten der Handwerker ein lebendiges Bild, bei dem man mehr als einmal das Gefühl bekommt, die Wärme der Gasflamme zu spüren. Die gründliche Recherche der Autorin hat sich ausgezahlt.
Meinung:
Die drei gleichrangigen Protagonistinnen sind 3 Schwestern, die sehr plötzlich ihren Vater verlieren und nun zusehen müssen, wie sie über die Runden kommen. Unverheiratete Frauen zu jener Zeit mussten bereits froh sein, wenn sie auch nur einen Job als Gehilfin in einer Werkstatt bekamen. Dort durften sie von früh bis spät hart Arbeiten und bekamen gerade genug, um über die Runden zu kommen und das auch nur wenn nichts Unvorhergesehenes passiert. Auch den drei Steinmann-Schwestern ergeht es zunächst nicht anders. Da erscheint das Angebot des größten ortsansässigen Familienbetriebs wie ein Silberstreif am Horizont und alle drei stürzen sich mit Feuereifer in ihre Aufgaben. Am Ende des ersten Monats erfolgt das böse Erwachen. Johanna, Ruth und Marie versuchen nun gemeinsam und dennoch jede auf ihre eigene Art und Weise sich den neuen Herausforderungen zu stellen.
Johanna war schon immer diejenige der drei mit dem größten Organisationstalent und dem am besten ausgeprägten Geschäftssinn. So kommt es nicht von ungefähr, dass sie kurz nach dem Tod ihres Vaters bereits ein attraktives Angebot von einem Verleger bekommt, bei ihm als Assistentin zu beginnen. Das Gehalt stellt alles Bisherige weit in den Schatten. Und nach den ersten negativen Erfahrungen als Gehilfin des ausbeuterischen Glasbläsers Wilhelm Heimer, wagt die selbstbewusste junge Frau den Schritt in die nahe gelegene Kleinstadt. Ein völlig neuer Kosmos öffnet sich der wissbegierigen und ehrgeizigen Johanna. Das ihr neuer Chef ihr etwas unheimlich erscheint, ignoriert die Tochter aus einfachen Verhältnissen zunächst geblendet von den neuen Möglichkeiten.
Was für Johanna die Freude am Organisieren und an neuen Herausforderungen ist, das ist für Ruth das Träumen von einer famosen Hochzeit und einer Ehe in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen. Schnell glaubt sie in Thomas Heimer - einem der Söhne ihres neuen Arbeitgebers - den Richtigen gefunden zu haben und beginnt auf ihre Art genau so zielstrebig wie ihre Schwester ihre Ziele zu verfolgen. Dabei gelingt es ihr, sich nicht unter Wert zu verkaufen und dennoch ihren Willen zu bekommen. Leider ist auch in dieser Familie nicht alles Gold was glänzt. Und so findet sich die tatkräftige Ruth schon bald in einer mehr als unglücklichen Ehe wieder. Nur sie selbst kann sich noch helfen. Und allen gesellschaftlichen Stigmata zum Trotz, findet sie einen Weg aus ihrem Dilemma.
Marie schließlich tritt erst im späteren Verlauf des Romans verstärkt in Erscheinung. Die stillste und verträumteste der drei Schwestern scheint glücklich zu sein mit dem Job beim "alten Heimer". Entdeckt dieser doch schnell, dass die zierliche Marie ein besonderes Talent für kunstvolle Verzierungen hat. Nur wenige genießen in seiner Werkstatt so viele Freiheiten wie Marie es tut und diese weiß das zu schätzen. Doch des Abends, wenn die jüngste der Steinmann-Schwestern über ihrem Zeichenblock brütet und ihre Ideen aufs Papier bannt, sehnt sie sich nach mehr. Auch sie bricht mit allen Regeln der Gesellschaft und versucht in der Werkstatt ihres Vaters Glas zu blasen - als Frau! Die wunderschönen Entwürfe bilden die Grundlage für fantastische Glaskugeln, die nicht nur in Bremen und Nürnberg begeisterte Abnehmer finden, sondern auch die lange Reise über den Atlantik antreten.
Alle drei Schwestern arbeiten allen Schicksalsschlägen zum Trotz Hand in Hand. Viele Fürsprecher haben die drei "Steinmänner" nicht, doch einige Freunde auf die sie sich verlassen können und so entsteht die Idee einer eigenen Glasmanufaktur. Alles scheint perfekt doch dann fällt Ruth eine folgenschwere Entscheidung, die ihr niemand zugetraut hätte.
Nicht nur eine sondern gleich drei facettenreiche, starke und überzeugende Hauptfiguren! Das alleine ist schon ein starkes Stück und macht das Buch lesenswert. Die bereits erwähnten Schilderungen der handwerklichen Abläufe, aber auch ein Einblick in die unglaublich festgefahrenen gesellschaftlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts verleihen dem Roman viel Plastizität. Warum brauchten Handwerker Verleger und warum waren die Glasbläser trotz ungeheuer begehrter Waren so bitterarm. Wie haben die Menschen überlebt?
Fazit:
Wie so oft in diesem Genre, kann sich auch dieser Roman nicht von Kitsch und Pathos befreien. Und sicher hat nicht jede Tochter eines Glasbläsers, die als Vollweise ihren Weg suchen musste, ihr Glück auf diese Weise machen können, doch man gönnt es den Schwestern so sehr. Maries Talent, Johannas Ehrgeiz und Ruths Mut sind bewundernswerte Eigenschaften, die den gesamten Roman tragen. Natürlich gibt es eine Fortsetzung und am Ende des Buches habe ich mich geärgert sie nicht zur Hand zu haben. Die eingängigen Schilderungen und die spannenden Wendungen, sowie die Verteilung der Handlung auf mehrere gleichermaßen spannende Hauptfiguren, lassen nie Langeweile aufkommen.
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