Die Frau, die vom Himmel fiel
Story:
Der heute in Italien lebende Simon Mawer wurde für zwei seiner Romane ("Mendels Zwerg" von 1997 und "The glass room" von 2009) für den Booker-Preis nominiert. Von seinen bisher acht Büchern sind einige internationale Bestseller. Der gebürtige Engländer wuchs in Zypern und Malta als Kind eines Soldaten der Royal Air Force auf. In dem vorliegenden Band stecken auch Bezüge aus der eigenen Familiengeschichte.
Marian Sutro ist eine mutige junge Frau mit der besonderen Eigenschaft, zweisprachig aufgewachsen zu sein. 1943 werden in England weibliche Personen wie sie gesucht: So kommt es, dass die Protagonistin schließlich auch der Regierung auffällt und rekrutiert, wird um hinter den feindlichen Linien zu arbeiten. Eine 19-jährige wird "die Frau die vom Himmel fiel".
Marian nimmt dieses einmalige Angebot - nicht wissend was genau sie erwartet - nicht zuletzt an, um ihrer Jugendliebe Clément in Paris eventuell wieder zu begegnen. Bald wird klar, dass das Empire ein ureigenes Interesse an Clement hat, der als Physiker in Frankreich an der Atomforschung der Deutschen beteiligt ist. Es könnten seine Kenntnisse sein, die im Krieg die alles entscheidende Wendung bedeuten. Mit Feuereifer stürzt sich die bemerkenswerte Frau in die ungewöhnliche Ausbildung bei einer Organisation die so geheim ist, dass keiner zu wissen scheint für wen er eigentlich arbeitet. Telegrafieren, Sprengstoffe, Waffen, Nahkampf, Tarnung...
Meinung:
In fünf Jahren bildete die britische Special Operations Executive zahlreiche Agenten für nahezu alle Kriegsschauplätze aus. Churchill sagte über die SEO-Mitarbeiter einmal, sie sollten "Europa in Brand setzen". Es ging nicht um Spionage, sondern um Zerstörung. Die Frauen in Frankreich waren die einzigen, die bei den westlichen Alliierten für Kampfeinsätze ausgebildet wurden. 50 Agentinnen wurden dort in den Einsatz geschickt.
Die konkrete Vorlage für Marian Sutro stellt Anne-Marie Walters da. Sie war eine der beeindruckenden Frauen. zu denen die Eltern des Autors sogar persönlichen Kontakt hatten. Schon lange vor Erscheinen des vorliegenden Romans, bekam Simon Mawer ein abgegriffenes Buch mit der autobiografischen Erzählung dieser Agentin in die Hände. Über die Jahre reifte in dem Schriftsteller vermutlich der Entschluss, die Geschichte auf seine Weise neu zu erzählen und Frau Walters und den anderen Agentinnen auf diese Weise ein Denkmal zu setzen.
Beim Lesen fällt es immer wieder schwer zu glauben, dass man den Erlebnissen einer Neunzehnjährigen folgt. All zu leicht scheinen der blutjungen Frau all die Dinge zu fallen, die mit dem knallharten Agentenleben zu tun haben. Marian ist, wie auch die Vorlage zu Ihrer Figur, die Beste in ihrem Kurs. Mehr als einmal scheint Sie überrascht von den Kenntnissen zu sein, die sie sich während der harten Ausbildung angeeignet hat. Als es schließlich zu der unausweichlichen Konfrontation mit zwei deutschen Beamten kommt, wählt sie den letztmöglichen Ausweg und ihre Ausbildung übernimmt die Kontrolle: Eine junge (scheinbar französische) Frau schießt zwei Deutsche auf offener Straße im besetzten Paris nieder! Die immer wieder eingestreuten Einblicke in Marians Innenleben sollen zeigen, dass ihr eigenes Handeln ihr selbst nicht weniger unglaublich als dem Leser erscheint, nichts desto trotz bleibt die Protagonistin unnahbar.
Insbesondere die Zeit der Ausbildung in einem streng geheimen Ausbildungslager für Agenten in Schottland wirkt sehr plastisch und ungemein spannend. Hier wären mehr Details schön gewesen. Wie wird aus dem Mädchen eine Agentin hinter feindlichen Linien? Auch die stürmische, aus einer außergewöhnlichen Situation heraus geborene, Liebe zu Benoît wirkt nicht deplatziert, sondern ordnet sich in Ihrer Art und Weise vollkommen den Ereignissen unter: Schnell, unvermutet, unverbindlich und den externen Umständen unterworfen. Trotz all der sich scheinbar überschlagenden Ereignisse findet Marian hin und wieder Momente der Ruhe, in denen Sie sich mit Ihren Gefühlen auseinander zu setzen beginnt. Sie steht zwischen den Stühlen: Da ist der lebensfrohe, nahbare Benoit auf der einen, und der distanzierte, intelligente und weltmännische Clement auf der anderen Seite, den die junge Frau allerdings seit Jahren nicht gesehenen hat. Die Entwicklung von einem auch in Liebesdingen noch unerfahrenen Mädchen, zu einer selbstbewussten Agentin, die auch ihrem Jugendschwarm gegenüber selbstbewusst auftritt, ist ein interessanter Nebenschauplatz.
Schnell scheint die Reise des Lesers mit der Hauptfigur bis zu jener Szene zu gelangen, in der Marian mit einem Fallschirm auf dem Rücken über der Absprungsluke einer Maschine der Royal Air Force kniet und im Begriff steht hinter feindlichen Linien abzuspringen.
Auch im weiteren Verlauf gelingt es dem Autor immer wieder, ein plastisches Bild der Umstände im besetzten Frankreich zu zeichnen. Gegen Ende zieht der Erzähler das Tempo drastisch an und die Ereignisse scheinen sich zu überschlagen. Es lohnt sich selbst herauszufinden wie und ob die noch unerfahrene Agentin Herrin der Situation bleibt...
Fazit:
"Die Frau die vom Himmel fiel" erzählt dem Leser die spannende Geschichte einer ungewöhnlichen Agentin, die beispielhaft für eine Zeit steht, in der fast nichts sicher und noch weniger beständig war. Hin und wieder wird wahrscheinlich verklärt dargestellt, mit welch schlafwandlerischer Sicherheit Marian die richtigen Entscheidungen trifft. Nichtsdestotrotz entsteht der plastische Eindruck einer Frau, die beispielhaft für eine Gruppe von Menschen steht, die Außergewöhnliches geleistet haben.
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