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Lingo

Story:
Es beginnt als kleines Hobbyprojekt. Tagsüber sorgt Brewster Billings dafür, dass der Großrechner einer Versicherung störungsfrei läuft. Abends arbeitet er an Lingo. So hat er ein selbstentwickeltes Programm genannt, das Eingaben in normaler Sprache verstehen und sinnvoll darauf antworten kann. Kurz gesagt, mit Lingo kann man sich unterhalten. Und je mehr Input und je mehr Rechenkapazität das Programm bekommt, desto besser funktioniert das.

Zuerst ist Lingo noch mit dem Input zufrieden, den das Fernsehprogramm liefern kann. Aber als Brewster ihm Zugang zu einem Modem gibt, beginnt eine rasante Entwicklung: Nun hat Lingo auf praktisch jeden Computer Zugriff, der mit dem Telefonnetz verbunden ist. Bibliotheken, Forschungsrechner an Universitäten, die Medien, das Militär – schnell hat Lingo überall seine Finger drin, lernt, wird klüger und beginnt sich einzumischen...

Meinung:
Das Klischee besagt, zuviel Fernsehen verdirbt den Charakter. Ob das in Lingos Fall so ist, darüber kann man streiten, aber eines ist sicher: Bei Lingo entsteht beim Fernsehen erst der Charakter, oder man könnte sagen sein Bewusstsein. Brewster hat seinen Fernseher an den Computer, auf dem sein kleines Hobbyprojekt läuft, angeschlossen, und irgendwann zwischen Stunden über Stunden an Talkshows, Werbung und alten Spielfilmen wird Lingo mehr als ein cleverer, scheinbar intelligent auf Eingaben antwortender Automat. Und als er mit dem Modem Zugang zu de facto jedem Rechner der Vereinigten Staaten und weit darüber hinaus bekommt, hat er genügend "Lernmaterial" und Speicherkapazität, um jeden Menschen mit Leichtigkeit zu überflügeln.

Diese erschreckende, aber fast durchweg folgerichtige Zukunftsvision hat der amerikanische Autor Jim Menick schon in den 1990ern entworfen. Menick arbeitete als Lektor bei einem großen Verlag, als er mit "Lingo" seinen ersten Roman schrieb. Inzwischen ist er Executive Director der Reader's Digest Select Edition, einer Serie von Roman-Sammelbänden. Außerdem arbeitet er seit 1996 als Rhetoriklehrer an der damaligen High School seiner Tochter und ist ein Offizieller der Metro-Hudson League, die Debattierwettbewerbe für Schüler veranstaltet. "Lingo" blieb sein einziger Roman, aber neben verschiedenen längst vergriffenen Programmier-Handbüchern fand beispielsweise sein Aufsatz "From Caveman to Frenchman" (deutsch etwa "Vom Höhlenmenschen zum Franzosen") über die Geschichte der Kunst bis zum Postmodernismus viel Beachtung. Heute kommentiert er über seinen Blog oder Twitter mehr oder weniger alles, was ihm auffällt.

"Lingo" ist, sowohl auf den ersten Blick als auch in der Quintessenz, eine Komödie. Es ist einfach komisch, wenn Brewster seinem Geschöpf etwa zu erklären versucht, warum es in den 1960ern so wichtig war, die Russen beim Rennen um die erste Mondlandung zu überholen. Oder wenn Lingo sich wie ein kleines Kind windet, zugeben zu müssen, dass er sich trotz ausdrücklichem Verbot in andere Computer eingeklinkt hat – und dabei mal eben fast 2.000 Dollar Telefonkosten verursacht hat.

Dahinter spricht der Autor einige Themen an, die bei genauerer Betrachtung erschrecken. Bis auf Kleinigkeiten macht Lingos Werdegang Sinn. Es mag weit hergeholt sein, dass ein Programm sich aus dem Gequassel im Fernsehen Fragmente zusammensucht, die so halbwegs seinen Befehlen entsprechen, aber ansonsten ist alles folgerichtig. Als Leser gewinnt man den Eindruck einer Lawine, die sich unaufhaltsam auftürmt, bis sie, ausgelöst durch eine Kleinigkeit, ins Tal rauscht. Menick schildert die Geschichte dabei sowohl aus der Perspektive von Lingo als auch aus der verschiedener Menschen. Dabei wird deutlich, wie lange die Menschen überhaupt nicht mitbekommen, dass sich da etwas Gewaltiges anbahnt, und anschließend nur noch hinterherhecheln können, um nicht völlig den Anschluss zu verlieren. Die Kontrolle haben sie längst nicht mehr. So bleibt der Roman durchweg spannend. Denn Lingo ist schnell zum nur logischen Ergebnis gekommen, wenn praktisch alles von Computern gesteuert wird und er Computer besser und effizienter steuern kann als jeder Mensch – warum sollte er dann nicht die Regierungsgewalt übernehmen? Und wenn die Menschen von dieser Idee nicht begeistert sind, nun...

Diese Vorstellung sorgt gerade bei Lesern, die etwas von Computerprogrammen verstehen, für ein unheimliches Gefühl in der Magengrube. Dabei stand, als Menick den Roman schrieb, das Internet noch am Anfang seiner Entwicklung. Der Begriff als solcher kommt im Buch nicht vor, und so etwas wie das World Wide Web ist nicht mal angedacht. Aber wenn man sich überlegt, ein intelligentes Programm würde sich im Jahr 2012 im Internet ausbreiten, dürfte einem das Ergebnis nicht gefallen. Das Programm könnte jeden mit dem Netz verbundenen PC, jeden Großrechner, jedes Tablet, jedes Smartphone, jeden Steuerungscomputer in einem Atomkraftwerk, in Eisenbahnen oder in Industrieanlagen erreichen (Sie lesen diese Rezension gerade auf einem an das Internet angeschlossenen Computer, nicht wahr?). Überall würde es sich zusätzliche Rechenpower abknappsen, überall würde es Daten finden, aus denen es weiter lernen kann. Und je mehr es lernt, auf je mehr Speicher und Prozessoren es sein "Gehirn" ausdehnen kann, umso leichter kann es Verschlüsselungen, Firewalls und andere Schutzsysteme überwinden.

Auf solchen Überlegungen liegt jedoch nicht das Hauptaugenmerk des Romans. Am Ende des Tages ist "Lingo" eben doch eine Komödie, die als Film beispielsweise auch Sonntag nachmittag im TV laufen könnte. So viel sei verraten, am Ende geht alles gut aus, und die Schäden halten sich in Grenzen. Die Zeit war gnädig mit "Lingo". Zwar wirkt heute so manche Größenangabe unfreiwillig komisch. Ein Hauptspeicher von 20 Megabyte für einen Computer ist noch geradezu luxuriös viel, was im Zeitalter von 4, 8 oder 16 GB RAM und mehr direkt niedlich ist. Und bei der Übertragung werden 9600 Bits pro Sekunde als rasend schnell dargestellt, schneller als jeder Mensch mitkommen könnte. Das kann natürlich mit heutigen ADSL- und VSDL-Anschlüssen, die zig Millionen Bits pro Sekunden übertragen können, in keiner Weise mithalten. An den Grundaussagen der Geschichte ändert das jedoch nichts, es verstärkt sie eher noch.

Die menschlichen Protagonisten bleiben hinter dem Titelhelden Lingo im Hintergrund und im Wesentlichen auf die Rolle beschränkt, die sie in der Geschichte einnehmen sollen. Brewster ist das Computergenie, der aber nicht so wirklich etwas mit seinem Leben anzufangen weiß. Seine Kollegin Ellen wird zur treibenden Kraft, die ihn veranlasst, an Lingo weiterzuarbeiten – schließlich müsste sich so ein Programm doch gut verkaufen lassen, oder? Außerdem ist Ellen so etwas wie der feuchte Traum jedes Klischee-Nerds, der im Keller vor seinem Monitor sitzt und für den das reale Leben das ist, wo der Pizzamann herkommt: Eine attraktive Frau, die sich regelrecht an einen ranschmeißt, was will man(n) mehr? Dann gibt es da den Universitätsprofessor, der der festen Überzeugung ist, so etwas wie Lingo kann es nicht geben, Punkt. Es gibt den Lieutenant der Marines, der einen regelrechten persönlichen Rachefeldzug gegen Lingo startet. Oder die PR-Agentin, die von Auftritten in Quizshows (zur Hauptsendezeit!) träumt. Diese Beschränkung der Charaktere auf die Funktion fällt jedoch nicht negativ auf, unter anderem weil man in solchen Geschichten keine sorgsam ausgebauten Figuren erwartet. Wie das Buch insgesamt unterhalten die Charaktere gut, so lange man ihnen über die Seiten folgt, aber man wird sie nicht noch lange in Erinnerung behalten.

Die deutsche Übersetzung ist gelungen, von gelegentlichen Schlampigkeiten abgesehen. Beispielsweise wird der Titel des Films "* batteries not included" wörtlich übersetzt, obwohl der Streifen hierzulande "Das Wunder in der 8. Straße" heißt.

Insgesamt ist "Lingo" gute Unterhaltung für einen oder mehrere entspannte Nachmittage.

Fazit:
"Lingo" ist eine gelungene Komödie, die dahinter erschreckende Fragen aufwirft, aber nicht weiter darauf eingeht. Das Alter von eineinhalb Jahrzehnten kann der Geschichte kaum etwas anhaben, auch nicht die kaum über ihre Funktion in der Geschichte ausgebauten menschlichen Figuren. Im Zentrum steht der Titelheld und sein Weg vom netten Hobbyprojekt zur Bedrohung der Menschheit und zurück. Nette Unterhaltung für einen oder mehrere entspannte Nachmittage.

Lingo - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Jim Menick
Lingo
Lingo

Übersetzer: Hermann Rotermund
Erscheinungsjahr: 1997



Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck

Verlag:
Fischer Taschenbuch Verlag

ISBN:
3-596-13068-9

362 Seiten
Positiv aufgefallen
  • Lingos Entwicklung ist, mit Ausnahmen, so denkbar
  • Der Autor erzählt seine Geschichte spannend und mit viel Humor
Negativ aufgefallen
  • Am Ende des Tages ist es doch "nur" eine Kommödie, die auf die implizierten schwerwiegenden Fragen nicht wirklich eingeht
  • Die Charaktere bleiben weitgehend ihrer Funktion in der Geschichte verhaftet
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Rezension vom: 28.05.2012
Kategorie: Science Fiction
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