Weit im Norden
Story:
Makepeace Hatfield ist die letzte
Einwohnerin einer ehemals von Aussteigern gegründeten Siedlung in
Sibirien. Nach einer globalen Katastrophe hat sie sich daran gewöhnt,
dass sie zu den wenigen Überlebenden auf der Welt zählt. Zwei
Ereignisse verändern ihr Leben schlagartig und lassen in ihr die
Hoffnung aufkommen, dass es da draußen doch noch Menschen gibt, die
ein zivilisiertes Leben führen. So macht sie sich auf die Suche nach
ihnen und beginnt eine mehrjährige Reise ins Ungewisse.
Meinung:
Mit „Weit im Norden“ legt der in
Uganda geborene Brite Marcel Theroux bereits seinen vierten Roman
vor. Neben seiner Arbeit als Romancier ist er, Sohn des
Autors Paul Theroux, auch ein erfolgreicher Reporter. Es war die
Arbeit an Dokumentationen, die ihn 2000 und 2004 nach Alaska,
Sibirien und in die Ukraine führten, wo er Menschen traf, die in der
Todeszone um Tschernobyl lebten und Klimaforscher ihn zum Nachdenken
anregten. Das Ergebnis ist der 2009 veröffentlichte Endzeitroman
„Far North“, der seit August 2011 in deutscher Übersetzung
vorliegt. Leider ist der Satzspiegel des Paperbacks sehr großzügig
gewählt worden. Als einfaches Taschenbuch hätte die Geschichte
wahrscheinlich nur halb so viele Seiten in Anspruch genommen. Dies
ist aber auch der einzige negative Kritikpunkt an diesem vollkommen
gelungenen Roman.
Wer sich die Mühe macht auf Therouxs
Webseite (http://www.thisworldofdew.com/)
die Entstehungsgeschichte von „Weit im Norden“ durchzulesen, wird
die vielen Parallelen zwischen dessen Beobachtungen und der Welt von
Makepeace Hatfield erkennen. Und wird um so mehr über seine
eindringliche Schilderung von Erde und Menschheit nach einer
Katastrophe mit weltweiten Auswirkungen nachdenken.
Therouxs Protagonistin Makepeace sticht
schon zu Beginn seiner Erzählung heraus. Die junge Frau geht
schwerbewaffnet durch die einst von vielen Tausend Menschen bewohnte
Siedlung „Evangeline“, die von Quäkern und friedliebenden
Aussteigern wie ihren Eltern als utopisches Paradies in Sibirien
gegründet wurde. Doch mit dem Eintritt einer Katastrophe änderte
sich das Leben der Siedler von einem Tag auf den anderen. Ihre Werte
zerbröckelten genauso schnell wie die Gemeinschaft, die sie einst
mit aufgebaut hatten und die auf Idealismus und Hoffnung gegründet
sein sollte, nicht auf Waffen und Gewalt.
Wie es zum Untergang der Zivilisation
kam und wie Makepeace zu der pragmatischen, anpassungsfähigen Frau
mit dem durch Säure verätzten Gesicht wurde, wird erst nach und
nach offenbart. Weder Autor noch Heldin verweilen allzu lange in der
Vergangenheit oder denken an eine mögliche Zukunft. Nur hier und da
wird das Szenario angedeutet, das allzu bekannt ist: Klimawandel,
Flüchtlingsströme, karge Ernten, Hunger, Gewaltausbrüche und der
Kampf um die wenigen verbliebenen Ressourcen. Der Fokus liegt dennoch
ausschließlich auf der Gegenwart und das Überleben in der
unwirtlich gewordenen Welt. Die bedrückende, äußerst realistische
Darstellung des Lebens nach der Apokalypse ist Theroux gelungen.
Makepeace ist im postapokalyptischen
Sibirien durchaus im Vorteil. Als ehemaliges Mitglied der Patrouille
Evangelines, kennt sie sich nicht nur mit Waffen aus. Sie weiß, wie
sie mit den Besitzern von Karibuherden verhandeln muss, um an Fleisch
und Felle der Tiere zu gelangen, ohne sich dabei über den Tisch
ziehen zu lassen. Zur Not greift sie auch selbst zu Waffen oder
Fallen, um ein wildes Karibu zu erlegen oder sich gegen Diebe zu
wehren. Auch weiß sie, wie sie in der Wildnis überleben kann,
welche Pflanzen essbar sind und welche nicht und welche Samen wann
ausgesät werden müssen, um vor dem nächsten harten Winter genügend
Vorräte ernten zu können.
Zimperlich geht Theroux mit Makepeace
nicht um. Mehrmals lässt er sie in scheinbar ausweglose Situationen
geraten, die den Leser an das Gute im Menschen zweifeln lässt. So
gelangt Sie unter anderem in die Gefangenschaft von
Sklavenhändlern und realisiert dort, dass das Wissen und die
Fertigkeiten von Generationen keinen Wert mehr besitzen. Die Bücher,
die sie zuhause wie ihren Augapfel hütete, obwohl sie selbst kaum
lesen kann, sind genauso überflüssig geworden wie plastische
Chirurgen, Akademiker oder andere Spezialisten. Einzig die
Arbeitskraft zählt nach dem Zusammenbruch der Zivilisation. In einer
Welt, in der die alte Ordnung zerbrochen ist und neue Herrschaften
entstanden, scheint das Böse letztendlich über das Gute zu siegen.
Doch es ist eine Frau, die sich gegen Natur und Menschenhändler zu
wehren weiß: Makepeace Hatfield. Die Menschheit hat vielleicht doch
noch eine Chance.
Fazit:
Marcel Theorouxs „Weit im Norden“
ist ein rundum gelungener Endzeitroman, dessen Schilderung von Natur
und Mensch nach dem Zusammenbruch der Zivilisation sehr realistisch
ist. Ein Muss für Fans von Science-Fiction Romanen, eine klare
Empfehlung für alle, die zum Nachdenken anregende Geschichten mögen.
|