In Erwartung des Mahdi
Story:
Vor zehn Jahren war Kahlili Sulaiman als Frontreporterin in Khuruchabja. Als Mann verkleidet berichtete die Reporterin aus den vordersten Linien des Kriegs in dem kleinen, streng islamischen Land. Inzwischen sitzt sie jedoch in der Sendezentrale hinter dem Schreibtisch, gibt gutaussehenden Nachrichtensprechern den Text vor und will um keinen Preis zurück in den Nahen Osten. Aber jemand will, dass sie nach Khuruchabja zurückkehrt. Der Geheimdienst "bittet" Sulaiman darum, dem Herrscher Scheich Lawrence ein Geschenk der Amerikaner zu überbringen.
John Halton ist dieses Geschenk. Er ist ein Biokonstrukt, ein von der ersten Zelle an im Labor aufgezogener Humanoid mit perfektionierten Genen und nahezu übermenschlichen Fähigkeiten. Er soll dem Scheich als Leibwächter dienen. Damit niemand davon erfährt, soll er Sulaiman als ihr angeblicher Kameramann begleiten.
Widerstrebend muss die Reporterin einsehen, dass sie keine Wahl hat als das Spiel mitzuspielen. Aber schnell zeigt sich, dass es um viel mehr geht als "nur" darum, Halton bei Scheich Lawrence abzuliefern...
Meinung:
"Jeder verarscht jeden", so könnte man die Weltsicht zusammenfassen, die N. Lee Wood in "In Erwartung des Mahdi" präsentiert. Der Roman liest sich in weiten Teilen, als hätte ihn ein pubertierender Jugendlicher geschrieben, sorgsam darauf bedacht, auch ja ordentlich abgeklärt und zynisch zu erscheinen. Die Menschen im Nahen Osten sind, so schildert es Wood, nach Jahrhunderten voller Gewalt und Unterdrückung vor allem frustriert und darauf bedacht, den jeweiligen feindlichen Sippen und Clans an die Gurgel zu gehen. Die westliche Welt wiederum gibt zwar vor, sie mit den Segnungen von Demokratie und Zivilisation beglücken zu wollen, ist aber tatsächlich vor allem am eigenen Machterhalt interessiert. Die Medien schauen den Politikern auf die Finger, aber auch nur, um im erbitterten Konkurrenzkamp mit ihresgleichen nicht den Kürzeren zu ziehen. Wirklich "gut", wirklich am Wohl des großen Ganzen interessiert ist eigentlich niemand.
Diese Grundstimmung ist innerhalb der Geschichte zwar gut aufgebaut. Die Erlebnisse, an die sich Ich-Erzählerin Sulaiman von ihrem letzten Aufenthalt in Khuruchabja erinnert, können auch dem Leser ganz schön im Magen liegen und machen die Einstellung der Protagonistin mehr als nur verständlich. Aber die stark vom Zynismus geprägte Atmosphäre macht die Lektüre nicht eben leichter. Normalerweise gibt es in einer Geschichte ein Ziel, auf das der Leser hinfiebert. Man hofft, dass der Held seine Queste erfolgreich absolviert, dass der Mörder entlarvt und bestraft wird, dass das offensichtlich vorherbestimmte Paar "sich kriegt" und so weiter und so fort. Hier jedoch gibt es keine Seite, denen man einen Erfolg in ihren Bestrebungen so wirklich gönnen würde. Auch die beiden Protagonisten wachsen dem Leser nicht so weit ans Herz, dass man ihr schieres Überleben gegen alle Widrigkeiten als befriedigendes Ende ansehen könnte. Überhaupt wird nie so wirklich klar, wer eigentlich mit wem gegen wen und für welche Ziele eintritt. Beispielhaft dafür ist einer von Sulaimans Kontaktleuten in Khuruchabja. Er tarnt sich als Geschäftsmann, arbeitet aber eigentlich für den amerikanischen Geheimdienst, wo ihn jedoch der israelische Geheimdienst eingeschleust hat, wo ihn allerdings wiederum eine weitere, ungenannt bleibende Gruppe platziert hat.
Als weiteres Manko des Buches stellen sich die teils extensiven Erläuterungen heraus. Die Autorin unternimmt ausführliche Ausflüge in die Geschichte des nahen Ostens, wobei dahingestellt bleiben soll, inwieweit die fiktive Historie des Romans mit der realen deckungsgleich ist. Für den Leser ist das ab einem gewissen Punkt ziemlich ermüdend. Als bestes Beispiel kann hier wieder der bereits angesprochene Kontaktmann dienen. Sulaiman und Halton sind gerade dabei, mit nicht mehr ganz dezenten Andeutungen körperlicher Gewalt endlich einige Erklärungen aus dem Doppel- und Tripelagenten herauszupressen, da fügt Wood mal eben einen Rundgang durch die politische Entwicklung der arabischen Welt über gut zweieinhalb Seiten ein. Man kann sich vorstellen, dass das der Spannung nicht gerade gut tut.
Dies alles ist ausgesprochen schade, denn schreiben kann N. Lee Wood eindeutig. Die in Conneticut geborene Autorin ist die ehemalige Ehefrau von Norman Spinrad, einem wichtigen Autoren der New Wave ab etwa den 1960er Jahren. Nachdem sie Graphic Arts und Chirurgietechnik studierte und unter anderem in einer Modellbaufabrik und als Truckerin arbeitete, widmet sie sich seit 1985 ganz der Schriftstellerei. Auch ihre anderen Werke wie "Faradays Waisen", wo eine Veränderung des Erdmagnetfelds in eine Endzeitkatastrophe führt, haben oft einen merklichen politischen Einschlag. Der ist auch in "In Erwartung des Mahdi" sichtbar vorhanden, auch wenn nicht ganz klar ist, wo die Autorin außer dem schon erwähnten "eigentlich verarscht jeder jeden" so wirklich hin will. Die politische Aussage bleibt im seichten "Die haben doch eh alle Dreck am Stecken" stecken. Ihr schriftstellerisches Talent zeigt sie beispielsweise, wenn sich die beiden Protagonisten Stückchen für Stückchen annähern oder sie Sulaimans Erlebnisse während des Krieges schildert, die wohl jeden Menschen entscheidend geprägt hätten. An diesen Stellen deutet der Roman sein Potential an, das er jedoch nur in Ansätzen umsetzen kann.
Stilistisch merkt man deutlich den Einfluss des New Wave, auch Ankläge an den Cyberpunk sind durchaus vorhanden. An anderen Stellen fühlt man sich an einen politischen Thriller erinnert. Die Science Fiction-Elemente bleiben jedoch eher oberflächlich. Zwar taucht regelmäßig futuristische Technik wie Holo-TV oder Infrafusionsbomben und natürlich Halton als Biokonstrukt auf, aber das sind im Wesentlichen Verlängerungen des heute Bekannten, keine wirklichen Neuerungen, und auch ihr Einfluss auf die Gesellschaft und das Handeln der Figuren bleibt begrenzt. Die Geschichte hätte ohne SF-Elemente auch nicht viel besser oder schlechter funktioniert.
Insgesamt bleibt nach dem Lesen ein Eindruck verpasster Chancen zurück. "In Erwartung des Mahdi" hätte ein sehr guter Roman werden können, wenn die Autorin die politisch-gesellschaftlichen Ausführungen in Grenzen gehalten und den Zynismus ein Stück zurückgeschraubt hätte. So bleibt eigentlich nur ein "Meh. Kann man lesen, kann man aber auch bleiben lassen."
Fazit:
Ein Roman der verpassten Chancen. Das Potential der Geschichte und das durchaus vorhandende schriftstellerische Talent der Autorin gehen unter in wenig tiefgründigen politischen Ausführungen und einer allgemein zynisch bis desinteressierten Atmosphäre.
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N. Lee Wood
In Erwartung des Mahdi
Looking for the Mahdi
Übersetzer: Walter Brumm
Erscheinungsjahr: 1998
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Heyne Verlag
ISBN: 3-453-14875-4
431 Seiten
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