Ausgebucht. Mit dem Bühnenbild im Koffer
Story:
Dieter Hildebrandt ist nicht nur im Fernsehen (und in Büchern) zu erleben, er absolviert auch regelmäßige Auftritte quer durch die Republik. Von dem, was er auf diesen Gastspielreisen erlebte, und über alles wozu ihm sonst noch etwas einfällt, berichtet er in "Ausgebucht".
Meinung:
Eigentlich ist dieses Buch ein Vorwand. Hildebrandt will darin von Erlebnissen auf seinen Gastspielreisen berichten, von erwähnenswerten Bühnen zwischen Hamburg, Berlin und München, von den Hotels, in denen man für die Auftritte auf diesen Bühnen untergebracht wird, von den Zugreisen zu diesen Bühnen und Hotels. Und genau das tut er auch, aber längst nicht nur.
Dieter Hildebrandt vorstellen zu wollen könnte man als Beleidigung auffassen, für ihn oder für den Leser. Also seien nur kurz die Begriffe "Notizen aus der Provinz" und "Scheibenwischer" erwähnt sowie die Tatsache, dass er dort etwas für ihn ebenso tut wie hier in diesem Buch: Er kommt mühelos von einem Thema zu nächsten. Fast ohne dass man es merkt, leitet der Kabarettist von der Ankunft im Hotel zum Überwachungsstaat und dem Innenminister als solchen über, vom aufdringlichen Mitreisenden im Zug zu Helmut Kohl, von den Problemen, trotz Bauarbeiten auf allen Bahnstrecken nach Trier zu kommen, zu Überlegungen über die Niederungen der modernen Sprache zwischen Comedian, "Tanke" und News Anchor.
Dabei wird er häufig politisch, auch parteipolitisch, das jedoch nach allen Seiten. So ziemlich jede Partei bekommt ihr sprichwörtliches Fett weg, vielen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen piekst Hildebrandt wie zufällig, aber doch sehr gezielt ins Auge. Dabei fällt immer wieder sein Hang zu Wortspielen auf und das für ihn typische Unterstatement. Dieter Hildebrandt donnert nicht, die Spitzen, die er abschießt, sind wie beiläufig und oft bemerkt man sie im ersten Moment nicht. Nichtsdestoweniger treffen sie exakt.
Oft wirken seine Texte wie Gespräche mit einem Freund oder Bekannten, der von seinen letzen Erlebnissen erzählt, dabei kommt von einem Thema zu nächsten, man regt sich über die Politik oder über einen bestimmten Menschenschlag auf. Bei Hildebrandt ist diese Aufregung jedoch nie unfair, nie plump, nie ohne Witz und eine ordentliche Portion Weisheit. Immer wieder ertappt sich der Leser dabei, dass er innerlich nickt und dem Autor zustimmt, Recht hat er, der Hildebrandt, um erst kurz darauf zu merken, welche scharfe Kritik sich hinter dem kunstvollen Geplauder versteckt.
Um diese Plaudereien zu weben, nutzt der Autor sein enormes Talent für Beobachtungen. Viele Male wird der Leser überrascht feststellen, jawoll, stimmt eigentlich, genau so sind die Menschen – gelegentlich auch, jawoll, genau so bin ich selbst. Aber irgendwie bleibt die Erkenntnis folgenlos. Hildebrandt teilt auch in diesem Buch das Schicksal seiner Kabarettkollegen, über die einmal gesagt wurde, sie versuchten von der Bühne herunter diejenigen zu überzeugen, die ohnehin schon ihrer Meinung sind. Andere gehen schließlich nichts in Kabarett. Und so plätschert "Ausgebucht" dann doch etwas zu sehr dahin, man stimmt dem Autor oft zu, freut sich über die eine oder andere besonders geistreiche Stelle, und dann ist das Buch zu Ende. Niemand verlangt, dass Hildebrandt mit erhobener Stimme und Faust der Revolution vornewegstürmt, aber gelegentlich wäre etwas mehr Tempo beim Bohren der dicken Bretter angenehm gewesen.
Fazit:
Dieter Hildebrandt nutzt in diesem Buch zwei seiner bekannten Talente: Mit feinen Beobachtungen und wie zufällig sich ergebenden Themenkaskaden Verhältnisse, die er für kritikwürdig erachtet, aufzuspießen. Das tut er in gewohnt geistreicher und witziger Form. Aber gleichzeitig bleibt das Buch merkwürdig folgenlos: Man liest es, nickt oft innerlich, um den Autor zuzustimmen, und dann klappt man das Buch wieder zu.
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Dieter Hildebrandt
Ausgebucht. Mit dem Bühnenbild im Koffer
Erscheinungsjahr: 2010
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Heyne Verlag
Preis: € 8,95
ISBN: 978-3453601529
256 Seiten
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