Die fliegenden Zauberer
Story:
Lant lebt in einem kleinen Dorf, das unter dem Licht der roten und der blauen Sonne ein friedliches Leben führt. Doch eines Tages stört ein ungewöhnlicher Besucher die Ruhe: Ein fremder Magier, der nicht nur sehr merkwürdig aussieht, sondern der auch offenbar keine Ahnung von den magischen Gesetzen und Ritualen hat. Shoogar, der etwas hitzköpfige Zauberer des Dorfes, fühlt sich gleich beleidigt und will in einem Duell Rache nehmen.
Aber der Eindringling macht sich offenbar keine Sorgen. Seiner Meinung nach wird die Welt gar nicht von Magie bestimmt, und die Götter gibt es überhaupt nicht. Trotz dieses Frevels kann er alle Angriffe von Shoogar spielend leicht abwehren – zunächst jedenfalls...
Meinung:
Wir sind gut dran, wir haben nur eine Sonne und einen Mond, und wir können die Sterne sehen. Aber was wäre, wenn über unseren Himmel zwei Sonnen und gleich elf Monde wandern würden, wie es auf der Welt von Lant, Shoogar und ihren Artgenossen der Fall ist? Was wäre, wenn der Blick auf die Fixsterne durch eine dicke Staubwolke versperrt wäre? Hätten wir dann in den Bewegungen am Himmel eine Systematik erkannt, hätten wir dann die Ordnung des Universums, die Naturgesetze entdecken, kurz, so etwas wie Wissenschaft überhaupt entwickeln können?
Die Bewohner der Welt, in der "Die fliegenden Zauberer" spielt, haben eine andere Systematik gefunden, um sich die Welt begreiflich zu machen. Für sie ist alles von Magie geprägt, von komplexen Ritualen und Symbolen, von Gnade und Zorn der diversen Götter und den Konstellationen der Himmelskörper, durch die all das stärker oder weniger stark wirkt.
Larry Niven und David Gerrold stellen also die beiden großen "Glaubenssysteme" der Phantastik direkt gegenüber: Magie (Fantasy) und Wissenschaft (Science Fiction). Dabei sind beide Autoren sonst eher in der Science Fiction beheimatet: Nivens bekanntestes Werk ist die "Ringwelt", für die er mit einigen der wichtigsten Preise des Genres ausgezeichnet wurde. Auch seine Fantasy-Geschichten gehören eher zur "rationalen Fantasy". Im Zyklus "The Magic goes away" (dessen erster Band auf Deutsch als "Wenn der Zauber vergeht" erschienen ist) stellt Magie eine endliche Ressource dar, die irgendwann auch einmal aufgebraucht ist.
Dem ungarischstämmigen Amerikaner David Gerrold hat die Welt die wohl nervigste Plage des Star Trek-Universums zu verdanken: Er ist der Schöpfer der Tribbles. Außerdem schrieb er eine Reihe weiterer Drehbücher für Trek-TV-Folgen und übernahm auch einige kleine Nebenrollen. Neben dem hier besprochenen Roman schrieb er seit den 1970er Jahren eine Reihe von Hard SF-Geschichten. "My Martian Child" über ein Adoptivkind das glaubt, vom Mars zu stammen, wurde 2007 mit John Cusack verfilmt. Bekannt ist Gerrold außerdem für seinen "Chtorr"-Zyklus. Da der Autor mit den ersten beiden Bänden sehr unzufrieden war, schrieb er sie praktisch noch einmal neu – was zur Folge hatte, dass unter anderem der Heyne Verlag, der die deutsche Übersetzung publizierte, die Rechte (die nur für die ursprüngliche Fassung galten) verlor und die Serie noch einmal hätte einkaufen müssen. Das wollte der Verlag verständlicherweise nicht, weshalb der dritte Band bis heute nicht auf Deutsch erschienen ist. In den 1990ern kündigte Gerrold weitere Bände des Zyklus an, die jedoch bis heute nicht veröffentlicht wurden.
Trotz der wissenschaftlichen "Vorbelastung" der Autoren sind in "Die fliegenden Zauberer" die Sympathien klar verteilt. Den Bewohnerm der fremden Welt unter der roten und der blauen Sonne gehört die Zuneigung des Lesers, nicht nur deshalb, weil man die Geschichte aus der Sicht eines von ihnen miterlebt. Der außerirdische Besucher, dessen Name sein "Sprachzauber" (eigentlich ein Übersetzungsgerät) nur unzureichend als "wie ein Farbton zwischen Purpur und Grau" übersetzen kann, benimmt sich, als würde er die oberste Direktive des Star Trek-Universums im Alleingang rechtfertigen wollen. Er greift völlig unbekümmert in die örtliche Kultur ein, kümmert sich nicht weiter um Gebräuche und Empfindlichkeiten der Einheimischen und behandelt Lant und die anderen zumindest zu Beginn nicht viel besser als er es wohl bei Labormäusen tun würde: Ach, wie interessant, Du bist jetzt sauer auf mich?
Der Gegensatz zwischen Magie und Wissenschaft bestimmt die Handlung und wird oft benutzt, um Humor zu erzeugen. Shoogar sieht sich regelmäßig in seiner Ehre als Magier gekränkt, weil Purpur ihm die Funktionsweise seiner "Zauber" nicht erklären will. Wie soll man jemandem ohne wissenschaftliche Vorbildung schon das Prinzip des elektrischen Stroms erklären? Gleichzeitig trampelt Purpur fröhlich in sämtliche Fettnäpfchen, die sich im weiten Umkreis finden lassen. Für Shoogar, Lant und die anderen "Ureinwohner" ist es selbstverständlich, dass der Fremde verrückt sein muss. Schon allein wegen dem Quatsch von Staubwolken und fremden Welten, den er faselt...
Dieses Spannungsverhältnis trägt allerdings nicht sonderlich lange. Die Autoren walzen die eigentlich gute Idee zu lange aus; anstelle von über 400 Seiten hätte man die Geschichte auch ohne weiteres auf 150 bis 250 Seiten erzählen können. Dadurch wiederholt sich vieles, etwa die Versuche Shoogars, Purpur mit magischen Symbolen und Ritualen anzugreifen, was den mal gar nicht interessiert, weil er schlicht nicht an Magie glaubt. Später entwickelt sich die Geschichte zu einem recht klassischen Abenteuer-Plot, in dem die Auseinandersetzung zwischen den beiden Weltsichten aber immer mitschwingt.
Auch die Botschaft der Autoren ist nicht zu übersehen: Niemand, der mit der Wissenschaft in Berührung gekommen ist, bleibt unverändert. Purpurs Besuch hat auf diesem Planeten die Dinge in Bewegung gebracht, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Diese Botschaft wird ebenfalls wiederholt, was den Nervfaktor weiter nach oben treibt.
Da kann auch der durchaus vorhandene Humor nichts mehr retten. Zwar ist die Geschichte auch lustig, wenn man die Anspielungen auf diverse Geschichten und Figuren anderer Autoren nicht versteht, aber die Gags haben sich ebenfalls relativ schnell totgelaufen.
Gut gelungen ist die Fremdartigkeit von Lants und Shoogars Volk. Den Autoren gelingt es, sie einerseits so menschenähnlich zu gestalten, dass der Leser sich mit ihnen identifizieren kann und sich für ihr Schicksal interessiert. Auf der anderen Seite werden die Unterschiede nicht plakativ in die sprichwörtliche Kamera gehalten, sondern wie nebenbei erwähnt und machen den Unterschied zur Lebenweise von Purpur (zu unserer Lebensweise?) deutlich.
Insgesamt hätte "Die fliegenden Zauberer" ordentlich komprimiert ein großartiger Roman werden können. So ist der Leser versucht, ihn nach einem Bruchteil der Seiten, die er nunmal hat, beiseite zu legen.
Fazit:
Larry Niven und David Gerrold schildern das Aufeinanderprallen zweier Weltsichten, Magie und Wissenschaft. Dabei wird nicht nur so manches verbeult, vom Schlafbaum bis zum Ego des Dorfmagiers, sondern es entsteht auch ein gerüttelt Maß Humor. Der kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autoren ihre Geschichte zu lange ausgewälzt haben. Ein Drittel oder die Hälfte der Seiten hätte es locker auch getan, und dann hätte daraus ein großartiger Roman werden können. So bleiben Ermüdungserscheinungen beim Leser nicht aus.
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Larry Niven, David Gerrold
Die fliegenden Zauberer
The Flying Sorcerers
Übersetzer: Yoma Cap
Erscheinungsjahr: 1976
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Heyne Verlag
ISBN: 3-453-30379-2
448 Seiten
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