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Zur Feier des Gastlandes! Snorri Sturluson: Der große Autor des (isländischen) Mittelalters

So, jetzt kommts raus: Ich bin Skandinavistin der alten Abteilung, und das bedeutet, mein universitäres Wissen über den berühmtesten und einflussreichsten Isländer des Mittelalters füllt Bände. Quasi. Trotzdem werde ich mich in meinen folgenden Ausführungen über den machthungrigen, skrupellosen und poetischen Politiker, Großbauer, Literat, Klostergründer, Historiker, Dichter und Königsvertrauten auf einige der Themen beschränken, die gestern im Pavillon des Gastlandes angesprochen wurden.

Umgeben von kinosaalgroßen Leinwänden mit bewegten Bildern von lesenden Isländern, Vulkanausbrüchen und über Berglandschaften fliegenden Bücherschwärmen saßen ich und erstaunlich viele andere Fachbesucher der Messe im Dunkeln und lauschten alten und neuen Erkenntnissen über Snorri. Auf der Bühne unterhielten sich Rudolf Simek, Koryphäe der deutschen Altskandinavistik, und Óskar Guðmundsson über die von Letzterem verfasste Biografie Snorris, während Arthúr Björgvin Bollason moderierte.

Ein paar kurze Eckdaten: Snorri wurde 1179 geboren, ist als politischer Ziehsohn bei einer einflussreichen Familie aufgewachsen, gehörte zu den Beratern des norwegischen Königs und hat unter anderem die Heimskringla, die wichtigste Geschichte der norwegischen Könige, und die Snorra Edda, eine umfangreiche Sammlung isländischer Gedichte und Legenden, verfasst.

Snorri hatte ein dramatisches Leben, welches für mittelalterliche Verhältnisse auch erstaunlich gut dokumentiert ist und somit für viel Stoff für diese erstaunlicherweise „erste“ Biographie Snorris gesorgt hat – offenbar gilt die vor einigen Jahren erschienene amerikanische Biographie über Snorri unter den anwesenden Forschern nicht viel. Es kam die Frage auf, wie es überhaupt sein könne, dass bisher keine Biographien über ihn vorlagen, obwohl er doch der einflussreichste Mann des isländischen Mittelalters war. Die Antwort gestern war, dass man möglicherweise Angst hatte, Snorri als von der Kirche beeinflusst zu sehen! Dazu muss man wissen, dass „der Isländer an sich“ immer stolz auf seine Unabhängigkeit war und ist, und natürlich die norwegische Eroberung Islands ein dunkles Kapitel darstellt. Island hat im Mittelalter die Sonderstellung eingenommen, lange keine Königsherrschaft gehabt zu haben, sondern, wenn man denn so will, als erste europäische Demokratie angesehen werden könnte. Der Legende nach ist Island (abgesehen von einer Handvoll irischer Mönche) von freiheitsliebenden Norwegern besiedelt worden, die sich dem König nicht länger unterwerfen wollten (oder, je nach Legende, von Schurken und Halunken, die vor der Rechtsprechung der norwegischen Monarchie geflohen sind). Jedenfalls haben die Isländer lange versucht, norwegischen Ansprüchen auf ihre Insel entgegen zu wirken, was irgendwann nicht mehr von Erfolg gekrönt war. Bis zur Eroberung gab es aber keinen isländischen König, sondern nur eine Gruppe von Großbauern, die die Rechtsprechung auf dem Thing unter sich und ihren jeweiligen Anhängern geregelt haben. Natürlich gab es Gesetze, die Exekutive fand allerdings faktisch durch die „Partei“ mit der größten Anhängerschaft statt.

Warum noch mal der Diskurs? Ach ja, die Kirche. Die christliche Kirche war auf Island lange sehr unbeliebt. Während Norwegen schon lange christianisiert war, zollten die Isländer weiterhin den germanischen Göttern unter Odin Tribut. Es kamen natürlich Missionare, die ihren Eifer durchaus auch mit dem Leben bezahlt haben, aber letztendlich ist die christliche Religion etwa im Jahr 1000 durch Volksentscheid angenommen worden, um einen Bürgerkrieg (und drohenden Angriff Norwegens mit dem Vorwand der Christianisierung) zu verhindern. Und es war kein großes Geheimnis, dass man durchaus seinen alten Glauben noch weiter ausüben konnte, solange man es nicht öffentlich tat. Außerdem beschäftigt sich die Snorra Edda mit heidnischen Überlieferungen, Götter- und Heldenliedern, so dass immer mal wieder gern angenommen wurde, dass Snorri damit sympathisiert hat. „Leider“ ist es aber nun mal so, dass Snorri „europäisch“ erzogen wurde, ihm also der paneuropäische Kanon damaliger Bildung gelehrt wurde, und seine Ziehbrüder zum großen Teil Kleriker waren. Darum ist der Tenor der neuen Biographie, sehr zu Herrn Simeks Wertschätzung, dass Snorri sein großes literarisches Werk nur in Verbindung mit seiner „europäischen“ Bildung hatte bewerkstelligen können.

Die zweite interessante These des Vortrags kam von Herrn Simek, der Snorri nicht als den erfolgreichen Politiker verstanden wissen will, für den er häufig gehalten wird. Herr Simek hält dagegen, dass Snorris sämtliche politischen Schachzüge alle daneben gegangen sind, was vor allem durch seinen gewaltsamen Tod durch Anhänger König Hákons von Norwegen offensichtlich wird. All sein Paktieren und geschicktes Heiraten und Verheiraten seiner Kinder konnte ihm keine dauerhafte Machtposition sichern. Guðmundsson fügte eine These hinzu, dass Snorri gegen Ende seines Lebens von Depressionen belastet gewesen sein könnte, ausgelöst durch den frühen Krankheitstod seiner jungen zweiten Frau, und dass er aufgrund dieser Depression keine Wachen mehr aufgestellt hat, so dass er problemlos ermordet werden konnte. Um das jetzt allerdings kontrovers diskutieren zu können, müsste ich die Biographie dann vielleicht doch erstmal lesen. Herr Simek war nicht augenblicklich überzeugt, aber ob sich jemals eine Beweislage für so eine Vermutung finden lässt, ist so fragwürdig, dass wir diese Fragestellung getrost im gleichen Ordner abheften können wie die Frage, ob Robin Hood und seine Sherwoodforest-Kumpel vielleicht nicht nur Merry Men, sondern auch Gay Men waren.

Trotzdem eine schöne Veranstaltung, mit Intrigen, Mord, Liebe, Politik, Korruption und Poesie, und ich bin sicher, dass die Biographie spannendes Lesevergnügen bereithält.

Óskar Guðmundsson, „Snorri Sturluson – Homer des Nordens. Eine Biographie“. Böhlau, 2011 – ISBN 978-3-412-20743-4



Daten dieses Berichts
Bericht vom: 14.10.2011 - 19:05
Kategorie: Tagebuch
Autor dieses Berichts: Skrollan Kannengießer
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